Wer fragt, verliert

Das Kind hat also gelernt, per Kopfschütteln „Nein“ zu sagen. Die Therapeuten sind ob dieses Fortschritts alle völlig aus dem Häuschen, weil „Nein“, wie ich in den letzten Wochen erfahren habe, in der Kindesentwicklung offenbar ein unglaublich wichtiger Schritt ist. Der Kindsvater und ich sind uns allerdings mittlerweile nicht mehr so sicher, wie cool wir das Erreichen dieses Meilensteins wirklich finden.

Verbale Zustimmung klappt schon ein bisschen länger, sie sagt etwas, was so ähnlich klingt wie „Ja“, wobei man sich ehrlicherweise das „J“ eher noch dazu denken muss. Wenn man sie aber kennt, dann ist klar, was sie meint. Ablehnung konnte sie bisher allerdings lediglich durch Wegdrehen, Verbiegen, Raunzen oder anderen lautstarken Protest bekunden. Ein kurzes Kopfschütteln ist daher für alle Beteiligten die entspanntere, angenehmere und auch eindeutiger interpretierbare Alternative.

Das Problem ist nur, dass sie, jetzt, wo sie weiß, wie es geht, eigentlich alles erst mal ablehnt, und zwar, wie mir vorkommt, aus Prinzip. Selbst Fragen wie „Willst du einen Schokopudding“ oder „Sollen wir spazieren gehen“ werden mit nein beantwortet, man kann sich daher vorstellen, wie weit ich mit „Wollen wir mal den Pyjama anziehen?“ oder „Magst du ins Bett gehen?“ komme. Es ist, als lebten wir mit einem Wackeldackel zusammen.

Wo ich anfangs also die therapeutisch so wichtige Kopfschüttel-Reaktion durch exzessives Nachfragen und selbst Aussuchen lassen noch forciert habe, ertappe ich mich mittlerweile regelmäßig dabei, nicht mehr zu fragen, sondern Behauptungen aufzustellen. „Den Pudding magst du sicher gerne essen“, „Du bist ja schon total müde und magst schlafen“ oder „Wir machen jetzt gemeinsam eine frische Windel, das wird bestimmt lustig“ sind Sätze, die mir in letzter Zeit fast ohne nachzudenken über die Lippen gehen. So schön es ist, dass das Kind seine Individualität entdeckt und auslebt, in manchen Bereichen tendiere ich im Sinne der haushaltlichen Effizienz mehr zur Diktatur als zur Demokratie, allerdings eben so subtil verpackt, dass die Putschgefahr möglichst niedrig gehalten wird.

Das Lustige ist, dass sich dieses Konzept, wenn man es beim Kind perfektioniert hat, auch auf den Mann übertragen lässt. „Wenn du das Altglas weggebracht hast, gibt es Essen“ (wenn ich keine Lust habe, selbst zu schleppen), „Heute kommen die Nachbarn vorbei, wir grillen“ (wenn ich keine Lust auf Wochenendgestaltungskompromisse und/oder kochen habe) und „Deine Tochter ruft dich“ (wenn ich keine Lust habe, mich morgens um halb sechs vom Kind aus dem Bett quäken zu lassen) sind wesentlich effizienter, als das ewige „möchtest du“, „würdest du“ und „wir könnten doch“. Der Höflichkeitskonjunktiv wird im familiären Bereich eindeutig überbewertet.

So sehr ich also ganz generell den gepflegten Dialog zu schätzen weiß, und sowohl dem Mann, als auch dem Kind, durchaus eine eigene Meinung und das damit verbundene gelegentliche Nein von Herzen gönne: wenn man den Laden halbwegs am Laufen halten will, dann muss man manchmal halt auch wissen, wie man sich ein Ja organisiert. 

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