Abenteuer Reha, Woche 4: „Das Dreamteam im Zieleinlauf.“

Wir haben es geschafft! Streckenweise auf dem Zahnfleisch kriechend und heftig schnaufend, aber der Endspurt liegt jeden Moment hinter uns, Rosie strampelt sich durch ihre letzte Sporteinheit, morgen früh geht es ab nach Hause. Und so schlecht haben wir auch wirklich nicht abgeschnitten. Nur eines muss ich leider zugeben: die Sache mit der Optikoptimierung hat so richtig nicht geklappt. Im Gegenteil.

Nach einem Monat praktisch durchgehender Krankheit, inklusive zwei Besuchen bei der örtlichen HNO-Ärztin und einem Medikamentencocktail, den meine 90jährige Oma auf ihren letzten Metern nicht gebraucht hätte, fühle ich mich unsexy wie selten zuvor. Meine Haut ist fleckig, meine Haare sind strohig, mein Hintern ist mangels Sporteinheiten mindestens so blad wie bei meiner Ankunft, und rasiert habe ich mich glaube ich seit Anfang Februar nicht, was sogar bei meiner spärlichen Beinbehaarung langsam auffällt. Aber wenn man dank eitriger Mandeln, einem hartnäckigen Husten und einem ekelhaften Schnupfen, der sich freilich, weil ich scheinbar grad einen Run hatte, zu einer geschmeidigen Nebenhöhlenentzündung auswachsen musste, schon nicht mehr so recht weiß, woher man die Energie nehmen soll, sich morgens aus dem Bett zu wälzen, dann muss man eben Prioritäten setzen. Und die Priorität hieß eindeutig: überleben.

Überlebt haben wir, und mehr als das. Denn selbst, wenn man Rosies, anfangs noch von allen Seiten gelobter, Motivation, besonders während der letzten Woche täglich beim Abnehmen zusehen konnte, so lässt sich unser Aufenthalt hier durchaus als Erfolg verbuchen.

Das Bärli hat definitiv an Kraft zugelegt, und die Therapeuten haben es immer wieder geschafft, sie aus ihrer Comfort Zone zu locken, was ja bei unseren vorherigen Besuchen hier oft ein großes, frustauslösendes Problem war.

Zudem haben wir wieder ein paar wirklich liebe Menschen kennengelernt, die wir unter anderen Umständen nie getroffen hätten. Wir haben Tipps erhalten und Tipps gegeben, Erfahrungen und Telefonnummern ausgetauscht, und abermals gemerkt, dass man sich zusammen eben weniger allein fühlt. Manchmal braucht es halt Gespräche mit Menschen, die im gleichen Boot sitzen, und nicht nur auf dem gleichen Meer unterwegs sind, um sich zu 100% verstanden zu fühlen. 

In meiner Funktion als örtliche Eventmanagerin musste ich als letzte Amtshandlung selbstverständlich auch noch eine Faschingsparty schmeißen, die zwar bei den Kindern ein Hit war, aber auch dafür gesorgt hat, dass mich jetzt ungute Ohrwürmer von Volker Rosin quälen. Kaum etwas steht dem Einschlafprozess mehr im Weg, als gedanklich in Dauerschleife vom „Gorilla mit der Sonnenbrille“ heimgesucht zu werden. Werde sehr, sehr viel Nick Cave hören müssen, um das wieder loszuwerden.

Jetzt geht es also endlich ab nach Hause, und natürlich ist die Freude und die Erleichterung, es geschafft zu haben, groß. Während der letzten Jahre ist mir allerdings auch aufgefallen, dass das Ende der Reha nicht automatisch nur zu guter Laune führt. Auch das Wiederankommen im Alltag will verarbeitet werden.

Klar sind das hier vier anstrengende Wochen, und daheim ist es durchaus netter. Aber während man sich durchbeißt und sich durch das Wegstreichen der geschafften Tage im Kalender motiviert, sickert allmählich auch die Erkenntnis durch, dass, wenn man wieder heim kommt, nicht automatisch „alles gut“ ist. Besser als hier, schon klar. Aber es ist nicht wie das Heimkommen nach einer langen Geschäftsreise oder auch wie die Rekonvaleszenz nach einer OP. Mit dem Nachhausekommen ist es nicht erledigt. Das Ende der Reha ist für pflegende Eltern der Schritt von einem ungewohnten Hamsterrad in ein vertrautes. Aber das Hamsterrad bleibt.

Ich kann in meinem eigenen Bett schlafen, muss nicht alles alleine machen, kann Freunde treffen, wir können Zeit als Familie verbringen und Rosie geht wieder in den Kindergarten. Aber sie bleibt schwerbehindert. Sie bleibt pflegebedürftig. Mein Tag besteht weiterhin aus Terminen, Therapien, Pflege, Tragen, Heben, Hilfsmitteln, Anträgen und immer neuen Versuchen, sie zu beschäftigen, zu fördern und jede Bewegung tausendfach so mit ihr zu üben, dass sie es möglichst nicht merkt und daher mitspielt. Den Luxus, es jemals wirklich geschafft zu haben, den haben pflegende Eltern nicht. Und diese Gewissheit kann die Erleichterung über das Reha-Ende merklich trüben.

Wie so vieles im Leben ist allerdings auch dieses Gefühl weniger angsteinflößend, wenn man weiß, was auf einen zukommt. Ich kenne den Drill, und weiß, dass ich mir ein paar Tage Zeit nehmen muss und darf, um wieder anzukommen. Um mein vertrautes Hamsterrad wieder zu meinem Alltag werden zu lassen, den ich nicht bewerte und möglichst wenig mit anderen vergleiche. Den ich annehme, wie er ist. Mit all seinen Mühsamkeiten, Anstrengungen und Enttäuschungen, mit all seiner Routine, und auch mit all seinem Spaß, seiner Freude und  seinen kleinen und großen besonderen Momenten. Denn das ist das Leben.

Nach der Reha ist vor der Reha. Aber jetzt sind wir erst mal ein bisschen stolz auf uns, das Bärli und ich. Applaus, Abgang, Vorhang.

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6 Gedanken zu “Abenteuer Reha, Woche 4: „Das Dreamteam im Zieleinlauf.“”

  1. Wie immer toll geschrieben Katharina! ☺️
    Ich wünsche euch ein wunderschönes Ankommen zu Hause in eurer vertrauten Umgebung!
    Morgen Abend mache ich mir eine Flasche, die mit P…. beginnt auf und denk an euch und stoße auf euch an!
    Super gemeistert die 4 Wochen – ihr könnt stolz sein!
    Alles erdenklich Gute – liebe Grüße Kornelia 👋

    1. Morgen werde ich auch eine Flasche aufmachen, dann können wir aus der Ferne anstoßen 🙂
      Ganz liebe Grüße an dich und deine beiden Faschingsmäuse! (Die Fotos waren entzückend!)

  2. Ich freue mich immer, wenn ich von euch lese. Danke für den Ohrwurm! Die Erwähnung des Titels hat schon gereicht. Kommt gut in eurem Alltag an und ich freue mich – nur sehr entfernt bekannt – über eure tolle Leistung!

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