Momente, Möglichkeiten und mein Leben davor

Da hatten wir also mal wieder ein kinderfreies Wochenende, und was soll ich sagen – es war herrlich.

Wir versuchen ja grundsätzlich, uns durch Rosies Behinderung so selten wie möglich in unseren Familienalltag reinpfuschen zu lassen, aber manchmal ist es trotzdem fein, ein oder zwei Tage lang die Hände frei zu haben, um mal in Haus und Garten ein paar Dinge erledigen zu können, ohne, dass einem dauernd ein gelangweiltes Kleinkind dazwischenraunzt. Abgesehen davon ist es von Zeit zu Zeit einfach auch notwendig, ein bisschen Erwachsenenspaß zu haben. Und nein, damit meine ich nicht nur das, woran jetzt alle denken. Get your mind out of the gutter, people… aber es gibt einfach Dinge, bei denen es in jedem Fall mühsam bis unmöglich wäre, ein Kind dabei zu haben, behindert oder nicht, und ab und zu genießen wir es, uns ungestört an jener Art der Freizeitgestaltung zu erfreuen, für die die Mitarbeit des Frontal- und Temporallappens eine eher untergeordnete Rolle spielt. Da werden Tontauben mittles Schrotflinten aus der Luft geholt, Zombies in der Virtual Reality Arena niedergemetzelt, und ab und zu treffen wir uns mit Freunden, um herauszufinden, wer von uns sich beim Bowlen, Darten oder Billiardspielen als Einäugiger unter den Blinden feiern lassen kann.

Wir versuchen also meistens, Dinge zu unternehmen, zu denen wir sonst eher selten kommen, und für die nicht rasend viel Denkleistung nötig ist. Und während ich genüsslich an meinem Spritzer nippte, das Bulls Eye mit dem Pfeil zum vierten Mal verfehlte, und „Best of Bravo Hits 1998“ aus den Boxen plärrten, poppte plötzlich die Frage in meinem Kopf auf: „Wäre es nicht extrem cool, wenn ich das immer haben könnte?“

Im Leben mit Kindern, und in dem mit einem durch eine entsprechende Pflegestufe eher betreuungsintensiven Exemplar überhaupt, hat man selten mal einen Abend, und noch seltener einen ganzen Tag, einfach zur freien Verfügung. Man kann sich nur unter erheblichem logistischem Aufwand gemeinsame, außerhäusliche Termine nach 18 Uhr ausmachen, und meist ist man, auch, wenn man Besuch hat, ganz froh, wenn man den Nachwuchs als Ausrede hernehmen kann, um die Gäste gegen 20:30 aus dem Haus komplimentieren und selbst ins Bett fallen zu können. Umso mehr genießt man es dann, einmal einfach nur in den Tag hinein leben zu können. Zu wissen, dass es völlig egal ist, wann man ins Bett kommt, weil man am nächsten Tag ausschlafen kann. Kein Babyphon bewachen zu müssen. Erwachsenendinge machen zu können, ohne, dass dabei immer einer das Kind bei Laune halten muss. All das ausnutzen zu können, was die Stadt, in deren unmittelbarer Nähe wir wohnen, an Entertainment zu bieten hat.

Wenn das dann mal möglich ist, dann ist es ein Fest.

Aber was, wenn es einfach immer so wäre? Wären wir kinderfrei, könnten wir uns zwei Mal pro Woche mit Freunden zum Bowlen treffen. Wir könnten wöchentliche Dinner veranstalten. Wir könnten jeden Sport machen, der uns Spaß macht, selbst, wenn er kostspieliges Equipment erforderte und die Ausübung regelmäßig einen halben Tag in Anspruch nähme. Wir könnten täglich Filme im Hauptabendprogramm anschauen, die erst gegen 23 Uhr zu Ende sind. Wir könnten ins Kino gehen, und ins Theater, und jeden Monat mindestens ein Wochenende in einer anderen Stadt verbringen. Das alles könnten wir. Aber würden wir es auch machen? Ich glaube nein. Und zwar deswegen, weil ich 33 Jahre lang kein Kind hatte. Und in dieser Zeit war mein Leben definitiv weniger aufregend, als es hätte sein können.

Der Mann und ich kennen uns seit 19 Jahren und ein paar Zerquetschten, und spätestens nach den ersten 4 oder 5 davon gehörte es nicht mehr zu unserer Routine, regelmäßig zwischen Freitag und Sonntag die Innenstadt unsicher zu machen. Wir haben keinesfalls wöchentliche, oder auch nur monatliche, Dinnerpartys gehostet. Und was das Bowlen betrifft, so behaupte ich mal, dass zumindest in den 10 Jahren vor Rosies Geburt Anfang 2018 kein einziger Kegel durch mich zu Schaden gekommen ist.

Wenn ich mich also manchmal nach mehr Freiheit und einer flexibleren Freizeitgestaltung sehne, muss ich mich auch immer daran erinnern, wie viel ich früher aus meiner Freiheit und Flexibilität gemacht habe. Oftmals nämlich leider gar nix. Aber dank Rosie habe ich gelernt, aus kurzen Pausen so viel Spaß, Abenteuer, Adrenalin, Entspannung und Produktivität rauszuholen, dass ich tatsächlich glaube, in diesen begrenzten Zeitfenstern heute mehr unterzubringen als in den vielen Jahren davor. Und auch der eine oder andere Partyabend mit meinen Freundinnen lässt sich mit etwas Planung durchaus ermöglichen.

Wenn man durch ein Kind eines lernt, dann ist das, seine Zeit effizient zu nutzen.

Während also die schlechten Bässe im Köö die Dance-Hits der 90er kakophonisch unterstrichen, orderte ich mir einen weiteren Gespritzten und freute mich über diese sorglosen Stunden mit meinem Mann, mit Freunden, über einen tollen Tag, über eine ruhige und lange Nacht, und darüber, dass es Rosie da, wo sie gerade war, ganz hervorragend ging. Und ich freute mich auch, dass diese Stunden eine Ausnahme waren, und dass sie dadurch immer irgendwie etwas Besonderes sein würden.

Ohne Kind oder mit Kind, ich würde vermutlich mit der gleichen Frequenz eine Bowlinghalle aufsuchen, Darts werfen, einen Berg besteigen, Tanzen gehen oder auf einem Schießplatz stehen.

Aber mit Kind erlebe ich diese Dinge so bewusst, dass sie irgendwie einen höheren Stellenwert bekommen, und das gute Gefühl danach länger erhalten bleibt. Den Moment genießen. Wenn Rosie mich eines gelehrt hat, dann das. Jetzt ist die Pause vorbei, das Bärli liegt wieder in ihrem eigenen Bett. Die Batterien sind recht gut aufgeladen, die neue Woche kann starten. Auf geht’s.

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2 Gedanken zu “Momente, Möglichkeiten und mein Leben davor”

  1. Liebe Katharina, einfach wahr, wie du schreibst!
    Ich hoffe es geht euch gut, ganz herzliche Grüße aus Türnitz, Kornelia 😊

    1. Ich dank dir für dein liebes Feedback 🙂 Alles gut bei uns, der Alltag hat uns endgültig wieder und wir warten darauf, dass es endlich richtig Frühling wird. Hab keine Lust mehr auf kalt!
      Alles Liebe, Kathi

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