Mein Kind ist nicht dein Karmapunkt

„Ist das nicht ein bisschen aggressiv?“, fragt mich meine Freundin, als sie den namensgebenden Spruch dieses Blogbeitrags auf meiner neuen Tragetasche sieht. „Die meisten Leute meinen es ja nicht böse!“

Tja, was soll ich sagen, damit hat sie schon recht. Vieles von dem, womit ich mich tagtäglich auseinandersetzen muss, beruht nicht auf Bösartigkeit, Gemeinheit oder einem generellen Gschissen-Sein meiner Mitmenschen. Es wäre ja, wie ich immer sage, auch irgendwie sehr besorgniserregend, dauernd angequatscht zu werden, weil sich jemand denkt: „He, eine pflegende Mutter! Mal sehen, wie ich der heute den Tag versauen kann!“ So viel psychopathisches Kalkül möchte ich meinen Mitmenschen tatsächlich nicht unterstellen.

Aber selbst die Dinge, die eh gut gemeint sind, oder auf Ignoranz, Unsicherheit, oder manchmal auch dem Bedürfnis der Solidarisierung gegenüber einem vermeintlich gemeinsamen Feindbild beruhen, gehen einem irgendwann auf die Nerven. Und so ein guter Mensch bin ich nicht, dass ich dabei jedes Mal lächeln, nicken und freundlich bleiben kann.

Es ist freilich absolut ok, mein Kind lieb anzuschauen und Hallo zu sagen. Es ist natürlich auch ok, mich zu grüßen, oder mir nett und unverbindlich zuzunicken. Die Erwähnung der blonden Locken oder der großen Augen meiner Tochter stört mich genauso wenig wie das Entzücken darüber, wie süß sie ist. Das alles sind typische Smalltalk-Situationen, zu denen man sich ab dem Moment der Empfängnis mehr oder weniger freiwillig verpflichtet.

Es ist allerdings nicht ok, Informationen zum Gesundheitszustand meines Kindes einzufordern. Es ist nicht ok, wissen zu wollen, wie das denn passiert sei. Es ist auch nicht ok, mich traurig seufzend anzuschauen und zu sagen „na sie haben aber auch eine schwere Aufgabe, oder?“, und es ist schon gar nicht ok, andere Randgruppen ins Rennen zu führen, um mir zu beweisen, wie sehr man auf meiner Seite steht. Sich über „die Asylanten“, „die Klimaterroristen“, „den Genderwahnsinn“ oder „die, die nicht mehr wissen, ob sie Manderl oder Weiberl sein wollen“ aufzuregen, und gleichzeitig so zu tun, als würde man sich für Inklusion interessieren, passt nämlich irgendwie nicht zam.

Meine Tochter und ich sind nicht dazu da, jeder Uschi, die wir beim Einkaufen treffen, ein gutes Gefühl zu geben, weil sie am Nachmittag beim Kaffeetrinken ihren Freundinnen erzählen kann, wie lieb sie heute zu einem behinderten Kind war, und dass sie der dazugehörigen Mama natürlich sofort versichert hat, wie toll sie das macht. Sowas rückt doch wirklich die Perspektive zurecht, nicht wahr? Da kann man nur dankbar sein, dass man selbst gesunde Kinder/Enkel/Urenkel hat. Zufriedener Griff zum nächsten Keks. Nächstes Thema. Habt ihr schon gesehen? Die Silke ist ja ziemlich fett geworden…

Genauso wenig sind wir dazu da, Neugier oder Sensationslust zu befriedigen. Ich frag ja auch nicht random irgendwelche Menschen im Bus nach ihrer medizinischen Geschichte, nur, weil sie einen Fuß nachziehen, eine besonders dicke Brille haben oder ihnen ein Abszess auf der Stirn wächst. Wieso muss ich dann dauernd erklären, was mein Kind hat? Noch dazu, wo die Antwort „eine dyskinetische, tetraplegische, spastische ICP“ meistens eher für Verwirrung als für Klarheit sorgt. Die Diagnose meiner Tochter hat keinerlei Einfluss auf deinen Tag oder dein Leben, drüber zu sprechen macht meinen aber anstrengender. Ich fühle mich dadurch auch weder gesehen noch wertgeschätzt, weil ich weiß, dass es im Grunde ziemlich unverhohlene Neugier ist, die lediglich im Farbton „Ich tu mal so, als würde ich mich für Behinderung interessieren!“, angestrichen wurde.

Und schon gar nicht sind wir dafür da, als Beispiel für ein „wichtiges Problem“ angeführt zu werden, um sich über alle anderen vermeintlich unwichtigen Themen lustig zu machen oder sie kleinreden zu können. Wir Randgruppen halten nämlich zusammen, und ich kann es durchaus scheiße finden, dass zu wenig für Inklusion getan wird, und gleichzeitig Menschen mit den von ihnen bevorzugten Pronomen ansprechen, oder Verständnis für Jugendliche aufbringen, die, das muss man halt auch sagen, einfach nur versuchen, eine Welt zu retten, in der sie noch wesentlich länger zurechtkommen müssen als die meisten, die gegen sie wettern.

Menschen, die es generell nicht so mit Toleranz und Verständnis haben, denen glaube ich ihre Ally-Ambitionen im Gespräch mit mir eher nicht, denn das sind erfahrungsgemäß genau die Leute, die Inklusion nur so lange gut finden, wie sie das eigene Leben nicht einschränkt.

Wem der Blick über den Tellerrand grundsätzlich schwer fällt, der möge sich bitte eine andere Steighilfe suchen als Rosie, um sich auch mal dort sehen zu lassen, wo darüber gesprochen wird, wie man die Welt besser machen kann.

Das mag jetzt hart klingen, aber, wie die Tasche und der Titel schon sagen: „Mein Kind ist nicht dein Karmapunkt.“

Du möchtest etwas tun, was dir am Ende deines Lebens auf der Plusseite angerechnet wird? Wie wäre es damit, sich nicht davon bedroht zu fühlen, dass ein kleiner Prozentsatz der Menschen sich endlich traut, offen darüber zu sprechen, sich durch gängige Geschlechternormen nicht mehr repräsentiert zu fühlen, und diese deswegen aufbricht. Oder dass Frauen nicht mehr mitgemeint, sondern tatsächlich erwähnt werden möchten. Oder dass die junge Generation eine Meinung dazu hat, was mit ihrem Planeten passiert. Wie wäre es, all diese Dinge vernünftig zu besprechen, und nicht alles mit überzogenen Plattitüden und schlechten Boomer-Memes ins Lächerliche zu ziehen? Oder wie wäre es damit, mal auf der eigenen Gemeinde vorbeizuschauen, um zu fragen, wieso es in der gesamten Nachbarschaft eigentlich keinen barrierefreien Spielplatz gibt, und wieso das ganze Budget mal wieder in ein neues Klettergerüst für die nicht-beeinträchtigten Kinder gesteckt wurde. Das wäre doch mal eine Idee. Dazu muss man mich nicht ansprechen, das muss ich nicht mal mitkriegen. Es zählt trotzdem, versprochen!

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Ein Gedanke zu “Mein Kind ist nicht dein Karmapunkt”

  1. Dazu gibt es nichts hinzuzufügen Katharina! Absolut richtig was du da schreibst! Ich wurde erst heute wieder gefragt, nachdem ich schon gefühlte 5min beobachtet wurde (und ja auch das bekomme ich mit, auch wenn ich nicht hinsehe) warum ich meiner Tochter zu jeder Eissorte ein „Zeichen mit den Fingern“ und die Farbe erkläre, wenn sie mich ja eh hört….
    Es kommt halt immer darauf an, wie man gefragt wird.
    Ich hoffe es geht euch gut liebe Katharina, ganz liebe Grüße Kornelia

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