Ich will ja eigentlich keine Klischees bedienen – aber kann es sein, dass männliche Ärzte im Durchschnitt irgendwie ein größeres Egoproblem haben als andere Berufsgruppen oder Geschlechter? Natürlich habe ich für diese kühne These keine wissenschaftlich fundierten Studien vorzuweisen, allerdings folgt hier mein empirischer Erfahrungsbericht.
Rosie und ich waren letzte Woche in Deutschland, genauer gesagt in der Schön Klinik in Vogtareuth, Bayern. Wer den Ort nicht kennt, der hat nicht viel verpasst, denn lasst es mich so ausdrücken: die Gegend ist echt schön. Nur außer Gegend gibt es da nicht viel. Zudem, aber das sei nur am Rande erwähnt, habe ich die Vermutung, dass Amerikaner oder Asiaten, wenn sie sich den stereotypen Österreicher in Lederhose oder Dirndl vorstellen, der inmitten ländlicher Idylle sein Bierglas zum Mund führt und jodelt, eigentlich den gemeinen Bayern im Kopf haben, denn das, was ich bisher von diesem Bundesland kennengelernt habe, ist ein einziges Filmklischee, und zwar bis hin zu „Mir san fei narrisch, du a? Dann kumm nei!“ Schildern an Haustüren. Ohne Witz, ich hab sogar ein Foto davon. Die reden hier übrigens wirklich so entzückend wie im Fernsehen, und einer der Pfleger hieß tatsächlich Sepp. In Bayern ist man halt bayrisch, und das zu 120%. So viel Heimatliebe bringen bei uns nicht mal die strammsten FPÖ-Wähler zusammen.
Aber zurück zum Thema: Schon die Bewilligung der Krankenkasse für den Aufenthalt in Deutschland zu organisieren, war ein Kraftakt. Dazu ist es nämlich notwendig, die Unterschrift einer Fachklinik vorzuweisen, die belegt, dass die Behandlung im Ausland notwendig (weil zum Beispiel in dieser Form im eigenen Land nicht durchführbar) ist. Und jetzt bekomm mal einen Arzt (absichtlicher Genderverzicht) dazu, zu bestätigen, dass irgendjemand, irgendwo, irgendetwas besser kann. Ohne die tatkräftige Unterstützung der sehr verständnisvollen und hilfsbereiten Chefarztsekretärin, würde ich heute noch um diese Unterschrift kämpfen.
Hier angekommen hatte ich ein sehr nettes und informatives Aufnahmegespräch mit einer Neurochirurgin, die sich alle meine Fragen zur bevorstehenden Woche angehört und versucht hat, diese, so weit es ihr möglich war, zu beantworten. So richtig bis ins letzte Detail war mir nämlich nicht klar, was in den nächsten Tagen alles passieren sollte, und was eigentlich das Ziel dieser Diagnositkwoche war. Und im Idealfall sollten ja alle Beteiligten, zumindest was den Ablauf und mögliche Ergebnisse betrifft, auf dem gleichen Stand sein, oder? Möchte man meinen.
Der Arzt, der die Aufklärung bezüglich des neuen MRTs durchgeführt hat, fühlte sich von meiner Frage, was wir uns von ebendiesem eigentlich versprechen, dann trotzdem irgendwie persönlich beleidigt. Ich weiß ja nicht, ob andere Eltern einfach jede ärztliche Entscheidung abnicken, aber mich interessiert halt schon, wieso wir mein Kind in Narkose legen und durchleuchten. Nicht, weil ich in Frage stelle, dass es einen Sinn hat. Ich wüsste nur gerne, welchen. Zudem der Arzt behauptete, dass ein MRT der Wirbelsäule gemacht würde, während ich bisher davon ausgegangen war, dass es um ein neues Schädel MRT geht. Im Zuge der Befundbesprechung mit der netten Neurochirurgin stellte sich dann später übrigens heraus, dass ich Recht hatte. Go figure.
Meine Frage, ob es für weitere Behandlungen und Therapien einen Unterschied mache, zu wissen, wo genau die Schäden in Rosies Hirn zu finden sind, wurde jedenfalls zunächst nur mit einem lapidaren „nach dieser Zeitspanne empfehlen wir immer ein neues MRT“ beantwortet. Schon klar. Aber wieso? Was könnt ihr daraus ablesen? Mit welchen Informationen kann ich dadurch rechnen? Und welche Fragen kann und soll ich daher bei der Befundbesprechung stellen?
Ein ähnliches Szenario gabs dann später im sogenannten Ganglabor. Hier wurde erst mal abgeklärt, ob die geplante Untersuchung mit Rosie überhaupt stattfinden kann, da das Wort „Gehen“ für das, was sie mit ihren Beinen macht, ja schon irgendwie ein Euphemismus ist.
Nachdem alle Anwesenden sich einig waren, dass zumindest ein Teil der geplanten Erhebungen durchführbar seien, wollte ich auch hier wissen, was man durch so ein Ganglabor eigentlich erfährt. Vor allem bei einem Kind, das eigentlich nicht geht. Spannend ist das ganze ja schon, mit Sensoren am Körper, die aus den Bewegungen eine Computergrafik machen, Videoanalysen, und Matten, die das Aufsetzen der Füße digitalisieren. Aber was kann man dadurch sehen? Worüber gibt sowas Aufschluss? Und wie kann es danach weiter gehen? Berechtigte Fragen, wie ich finde. Als ich aber im Laufe des Gesprächs meinte, dass Rosie bei solchen Dingen meist recht kooperativ sei, blickte mich der Herr Oberarzt über seine Brille hinweg an und meinte, leicht süffisant, ob das denn auch für mich gelte. Offenbar ist es auch hier nicht erwünscht, Fragen zu stellen. Ich hab dann übrigens geantwortet, dass ich es für sehr kooperativ halte, meine medizinischen Wissenslücken durch gezielte Fragen zu füllen, da es das Mindeste ist, was ich für mein Kind tun kann, wenn ich es ihr schon zumute, dass permanent neue fremde Menschen an ihr herumzupfen. Ich kooperiere halt in erster Linie mit meiner Tochter, und erst danach mit ihrem Behandlungsteam. Zugegeben, zu diesem Zeitpunkt war ich vom Umschiffen männlicher Befindlichkeiten schon etwas genervt und daher vielleicht nicht mehr ganz so diplomatisch in meinen Antworten wie gewöhnlich in solchen Gesprächen. Ist ja nicht so, dass ich sonst nichts zu tun hätte.
Ich finde es absolut in Ordnung, nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Immerhin muss ich für mein Kind weitreichende, medizinische Entscheidungen treffen, und das ohne jeden medizinischen Background. Alles, was ich über die Behinderung meines Kindes weiß, habe ich mir selbständig angelesen, oder eben durch gezieltes Nachfragen erfahren. Und ich habe nicht vor, damit aufzuhören, nur, weil titeltragender „Gott in Weiß“ der Meinung ist, ein schlichtes „Wir machen das halt so!“ sei eine ausreichende Erklärung für alles, da er ja immerhin (man verzeihe mir die Metapher, ich war in Bayern), körpermittig mit einer Weißwurst ausgestattet ist. Da kann er noch so sehr die Augen rollen, wenn ich´s halt doch ein bisserl genauer wissen möchte.
Die eingangs erwähnte, super bemühte und sympathische Neurochirurgin, konnte später übrigens im Zuge der Befundbesprechung sehr viele meiner Fragen beantworten, und fand keine einzige davon komisch, übertrieben oder lästig. Im Gegenteil, ich wurde ermutigt, gründlich darüber nachzudenken, ob ich sonst noch etwas wissen möchte. Und falls mir später noch was einfiele, dann hätte ich ja ihre Nummer.
Der Vollständigkeit halber möchte ich natürlich auch noch auf die Ergebnisse der Untersuchungen eingehen, obwohl diese leider nicht ganz so ausgesehen haben, wie ich es mir gewünscht hätte. Im Wesentlichen wurde nämlich mal wieder bestätigt, was sich auch schon in den letzten Jahren abgezeichnet hat, nämlich, dass die Art von Rosies Zerebralparese, sowie die Position der Schädigungen in ihrem Gehirn, sie für so ziemlich jede Form der operativen oder medikamentösen Lösung disqualifizieren, durch die in anderen Fällen schon mal signifikante Verbesserungen erzielt werden können. Tja. Ich verbuche die Woche dennoch als Erfolg, denn „nein“ ist schließlich auch eine Antwort. Nicht immer die, auf die man hofft, aber eine Antwort. Und jetzt wissen wir es wenigstens. Wir werden also, was Rosies Behandlungen und Therapien betrifft, weiterhin einen auf Eichhörnchen machen, und uns mühsam ernähren. Wo bei ich den Spruch nie so recht verstanden habe, denn die mir persönlich bekannten, in den diversen Parks Wiens und Niederösterreichs beheimateten Eichhörnchen, machen mir durchwegs einen äußerst wohlgenährten und wenig gestressten Eindruck. Aber egal.
Am letzten Tag unseres Aufenthalts fand dann übrigens ein sehr nettes, angenehmes und informatives Gespräch mit dem Gottobersten der Neurologie statt, dessen ausgezeichneter Ruf, wie ich gehört habe, bis über die Deutschen Landesgrenzen hinaus bei Kollegen und Patienten gleichermaßen bekannt und geschätzt ist. Auch ein Arzt, auch ein Mann. Aber wie immer zeigt sich: die, die wirklich was draufhaben, müssen keine Attitüde vor sich hertragen. Die müssen weder sich noch anderen etwas beweisen. Und die verstehen auch, dass eine Nachfrage keine Kritik ist. Um ein guter Arzt zu sein, reicht es eben nicht, ein guter Mediziner zu sein. Mensch muss man halt auch bleiben. Und im Idealfall ein guter. Dann klappts auch mit der Kooperation.
Inhaltlich schwer auszuhalten. Aber dein Schreibstil ist grandios!
Danke dir 🙂 Wenigstens dient mein Wahnsinn der Unterhaltung, denk ich mir…
Frau Kathi…du bist Großartig!!
Frau Esther – danke wie immer 🙂
Diese Art Überheblichkeit kannst von Ärztinnen und Ärzten gleichermaßen haben. Meine Frau lebt seit 15 Jahren mit einem Hirntumor und das bei weitem schlimmste Gespräch hatten wir vor ca. 7 Jahren mit einer OnkologIN im AKH. Die mochte Fragen auch so überhaupt nicht und hat meiner Frau am Schluss zu verstehen gegeben, dass sie doch froh sein soll, wenn sie noch ein paar Monate hat. Eine Behandlung bei dieser Ärztin wurde natürlich nicht umgesetzt. 2 Jahre später haben wir ein Kind bekommen. Mittlere Weißwurst nach oben in Richtung dieser Onkologin.
Ein Herzerl… vielleicht ist es weniger ein Geschlechter-, sondern ein Ärztethema. Der erhobenen Weißwurscht schließe ich mich mit Freuden und Solidarität an!
Ja, Ärztethema glaube ich auch. Götter in Weiß und so. Bei manchen schlägt das wohl auf’s Gemüt. Wobei ich auch sagen muss, dass dies gottseidank die einzige extrem negative Erfahrung in den 15 Jahren war.
Wow, wie du bei dem Wahnsinn die Nerven behältst ist mir rätselhaft. Deine spitze Feder ist vielleicht auch das Resultat der bitteren Erfahrungen die du machst, zum Lesen ist das alles für mich jedenfalls grandios, chapeau!
Die Erfahrungen haben die Feder durchaus angespitzt, fairerweise muss ich aber zugeben, dass ich in Zynismus schon immer recht fließend war 🙂