Wer jetzt erwartet, einen rührseligen Text über das Strahlen meines Kindes zu lesen zu bekommen, den muss ich leider enttäuschen. Zwar könnte Rosie mit ihrem Lächeln locker die Wiener Stadthalle ausleuchten, aber heute geht es um etwas völlig anderes. Es geht um den Humor zwischen pflegenden Eltern. Und zwar aus folgendem Anlass:
Ich habe eine Freundin, mit der ich, wie das so ist, wenn man keine Zeit zum Telefonieren, sich aber dennoch viel zu sagen hat, regelmäßig Sprachnachrichten (oder, wie ich sie manchmal aufgrund ihrer Länge nenne, Hörbücher) austausche. Und in unverhältnismäßig vielen davon fallen Sätze wie: „Ich hoffe, du bist nicht böse, aber ich musste sooo lachen!“, zumeist als Reaktion auf eine illustre Anekdote aus dem Leben mit einem behinderten Kind, die eigentlich, wenn man nicht unserer kleinen, exquisiten Bubble entstammt, ein guter Grund für Mitleid und Anteilnahme wäre.
Ihr fetzt es im Urlaub die Nerven, weil die Teenagerin ihre Hormone nicht im Griff hat, und man sich aufgrund notwendiger Pflegetätigkeiten trotzdem nicht aus dem Weg gehen kann, was sie mit einem saftigen „es ist so scheiße, ey!“ quittiert? Ich pruste in der Sekunde los. Ich echauffiere mich, aus reinem Selbstschutz vor Sarkasmus triefend, darüber, wie viel Widerwillen meine Erstklässlerin ausdrücken kann, ohne ein einziges Wort zu benutzen? Ich hör sie aus Deutschland zu mir herüberkichern. Und selbst konkrete Pläne, den Nachwuchs bei nächster Gelegenheit vielleicht doch mal während eines Spazierganges im Wald zu vergessen, bieten bei der jeweils anderen Anlass zu ausgelassener Heiterkeit (sowie enthusiastischer Zustimmung).
Das, was uns dabei so fröhlich macht, ist natürlich nicht die stressige Situation, das überstrapazierte Nervensystem oder die drölfzigste Herausforderung der Woche, die es zu bewältigen gilt. Wäre das der Fall, dann sollten wir uns zum Wohle unserer Mitmenschen vermutlich schleunigst in intensive, therapeutische Behandlung begeben, um etwaige psychopathischen Tendenzen untersuchen zu lassen.
Nein, es ist viel mehr ein Gefühl des Zusammenhalts, das aus uns herausbricht. Die Freude darüber, nicht allein zu sein, und sich besonders in diesen Momenten mit jemandem verbunden zu fühlen. Ein mit erhobener Faust laut herausgerufenes „I feel you, sister!“, das auf seinem Weg an die Oberfläche kurz ein paar Mal auf dem Zwerchfell auf und ab hüpfen muss vor lauter Begeisterung darüber, endlich jemanden zum Spielen gefunden zu haben.
Auf den Social Media Plattformen, über die wir pflegenden Eltern uns (mangels Alternativen, denn die Dichte ist nicht so hoch, dass man sich im analogen Leben besonders leicht kennenlernen würde), gerne vernetzen, betreiben wir alle hauptsächlich Aufklärungsarbeit. Wir geben Tipps, berichten davon, wie wir in der Vergangenheit Hindernisse bezwungen haben, in der Hoffnung, dass die, die nach uns kommen, nicht ganz von vorne anfangen müssen, und wir teilen kleine Ausschnitte aus unserem Leben, um unseren Kindern Sichtbarkeit zu verschaffen, und die Menschen daran zu erinnern, dass Behinderung nun mal ein Teil der Gesellschaft ist, auch, wenn die Gesellschaft das gerne mal vergisst, sobald es mit mehr Aufwand als dem Teilen eines pathetisch-kitschigen Facebook-Spruchbildes verbunden ist.
Was wir aber im Normalfall nicht zeigen, sind die überreizten Nerven der unterschiedlichen Familienmitglieder und die daraus resultierenden Streitigkeiten. Die trotzphasen-, sechsjahreskrisen- und pubertätsbedingten Konflikte, die durch behinderungsverstärkte Emotionsregulationsschwierigkeiten nicht besser werden, und in deren Verlauf man auch mal Dinge sagt, auf die man hinterher so gar nicht stolz ist. Den Frust, wenn wir unseren Kindern unter Aufbietung all unserer physischen und psychischen Kräfte die Teilnahme an schönen, lustigen und „normalen“ Aktivitäten ermöglichen, und die undankbare Brut dann die Frechheit besitzt, dabei schlechte Laune zu schieben.
Diese Details unseres Lebens halten wir zumeist bewusst aus den Weiten des Internets heraus. Nicht, weil wir irgendwas beschönigen möchten, sondern weil es private Details unserer Kinder sind, die wir nicht in die Öffentlichkeit tragen wollen. Uns hat man ja schließlich auch den Luxus gegönnt, unseren Erzeugern und Erziehern unter Ausschluss der Öffentlichkeit den letzten Nerv zu rauben. Dieses Privileg sei auch unserem Nachwuchs zugestanden.
Aber privat, da dürfen wir es uns natürlich erzählen. Und anders als auf Instagram und Co, wo in aller Regel, wenn man von den Grabenkämpfen um Barrierefreiheit, Nachteilsausgleich und Inklusion berichtet, mit Entrüstung, Anteilnahme und Emoji-Umarmungen reagiert wird, dürfen wir privat auch einfach mal nur lachen. Darüber, dass es mitunter halt guttut, laut zu fluchen. Darüber, wie skurril es sein kann, einen Machtkampf mit einem nonverbalen Kind auszutragen. Darüber, dass „sie können ja nichts dafür“ manchmal als Argument nicht ausreicht, um Tobsuchtsanfälle gelassen wegzuatmen, und man eigentlich nur „aber wir verdammt nochmal auch nicht“ zurückschreien möchte. Und selbst darüber, wie verzweifelt wir manchmal sind, weil uns niemand sagen kann, wie lange wir noch geduldige, verständnisvolle Supermums sein müssen, weil unsere Kinder sich nun mal anders entwickeln als andere, sie ihre „Phasen“ nicht erziehungsratgeberkonform hinter sich lassen, und sie so schnell vermutlich nicht auf eigenen Beinen stehen werden, und zwar sowohl im wörtlichen, wie auch im übertragenen Sinn. Denn ja, manchmal fühlt es sich besser an, darüber zu lachen, anstatt zu weinen. Gemeinsam geht das, denn wenn man zu zweit lacht, dann meint man es meistens auch so.
Was ich damit sagen will: nein, ich bin nicht böse wenn du lachst. Ich bin dankbar. Denn so lange uns das lachen nicht vergeht, ist alles gut.