„Mama!“, höre ich meine Tochter über das Babyphon rufen. Es ist Samstag, sieben Uhr dreißig, und ich danke dem Universum dafür, dass Rosie das Konzept „Ausschlafen am Wochenende“ sowohl verinnerlicht, als auch (im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Siebenjährige) in unseren Wochenendalltag integriert hat. Dann schwinge ich meine Beine aus dem Bett, und starte unseren Tag.
Ich ziehe eine Jogginghose an, werfe mir ein T-Shirt über und tappe ins Kinderzimmer, wo ich Rosie einen guten Morgen wünsche, den Vorhang zur Seite ziehe und die Jalousien öffne. Als nächstes nehme ich die Steuerung von Rosies Pflegebett in die Hand, lasse die Liegefläche nach oben fahren, klappe danach das Gitter auf einer Seite hinunter und beuge mich zu ihr, um sie erst mal zu umarmen. Weil ich schon mal unten bin, schiebe ich meine Arme unter ihren Körper und drehe sie um 90 Grad, um mit der morgendlichen Pflege beginnen zu können. Ich ziehe ihr Schlafsocken und Pyjamahose aus, greife nach Feuchttüchern und einer frischen Windel. Dreimal entwirre ich ihre Beine, die sich, spasmusbedingt, immer wieder überkreuzen, bis die Windel korrekt und auslaufsicher am Kind installiert ist. Weitere zweimal, bis auch Leggings und Socken dort sind, wo sie sein sollen. Um ihr das Pyjamaoberteil auszuziehen, greife ich mit einer Hand darunter, schiebe mit der anderen Hand ihren Arm an den Körper, und fädle diesen dann durch den Ärmel. Danach rutscht meine Hand zwischen ihre Schulterblätter, ich hebe ihren Oberkörper leicht an, ziehe ihr das Oberteil über den Kopf und senke ihren Oberkörper wieder zurück auf die Matratze. Dann nehme ich ihren zweiten Arm in die Hand, drücke ihn leicht an ihren Körper, um einen etwaigen Spasmus zu lösen, strecke ihn dann sanft aus und ziehe am Leiberl, um es vollständig auszuziehen. Mit einem frischen T-Shirt bewaffnet mache ich mich daran, das Spiel in die Gegenrichtung zu spielen. Dabei ist die Reihenfolge eine andere, nach sieben Jahren weiß ich, welche Technik für uns am besten funktioniert, und die geht so: Shirt zwischen Daumen, Zeige- und Ringfinger jeder Hand klemmen und ihr den Kragen über den Kopf ziehen, wobei ich diesen mit dem kleinen und dem Ringfinger beider Hände anhebe. Danach zuerst die linke Hand durch den Ärmel fädeln und bei Longsleeves aufpassen, ihr dabei die Finger nicht umzubiegen, falls sie sich im Bündchen verfangen. Wenn die Hand durch ist, beherzt zupacken und ziehen. Meine Hand wieder unter ihren Körper schieben, um sie etwas zur Seite zu rollen, und Shirt schon mal so weit wie möglich runterziehen. Danach kommt der rechte, etwas weniger spastische Arm, durch den Ärmel. Wieder an der Hand ziehen, dann mit beiden Händen Kind hin und her rollen und dabei das Shirt so lange zurecht zupfen, bis es richtig sitzt. Da das Wetter nicht besonders freundlich erscheint, wiederhole ich alles noch einmal mit einem Sweatshirt. Rosie liegt jetzt fast vollständig bekleidet vor mir, also lehne ich mich mit dem Ellbogen neben sie aufs Bett, lege meinen Unterarm ab und rolle ihren Oberkörper mit der linken Hand in meine rechte Armbeuge, da es so am leichtesten, und auch physiotherapeutisch für uns beide aktuell am sinnvollsten ist, sie umzulagern. Schließlich Beckenboden anspannen und leicht in die Knie gehen, um Rosie möglichst rückenschonend anzuheben. Noch klappt das ohne Lifter ganz gut.
Ich platziere ihren Po in ihrer Sitzschale, rücke sie, so gut es geht, zurecht, und passe auf, dass ihre Kleidung keine unangenehmen Falten schlägt, die zu Druckstellen führen können. Dann schnalle ich sie fest, erst an der Hüfte, dann um die Brust, und schließlich kommt noch ein Gurt um ihre Unterschenkel. Im Sitzen kann ich ihr noch ein Spucktuch umbinden, heute in einem stylishen Leoprint. Nur, weil man ziemlich exzessiv sabbert, kann man trotzdem trendy sein, finden wir. Noch schnell Sneakers an die Füße, und dabei darauf achten, dass die Zehen im Schuh ausgestreckt und nicht nach unten umgebogen sind, was, je nach Tagesverfassung, mehr oder weniger „mit den Fingern im Schuh herumfummeln“ meinerseits erfordert – fertig sind wir mit Teil eins der Morgenroutine. Zeit, Rosie ins Bad zu schieben.
Ich liebe ihre Haare, und wünschte, sie könnte sie auch mal offen tragen, aber wegen ihrer mäßig koordinierten Armbewegungen stellt das ein zu großes Verhedderrisiko dar, und ich habe keine Lust, alle paar Augenblicke ihre Hände aus ihren Locken zu befreien. Zudem würden sie ihr auch ununterbrochen ins Gesicht fallen, und wer selbst lange Haare hat, kann sich denken, wie nervig es wäre, sie sich nicht selbst zurückstreichen zu können. Aus diesem Grund braucht sie jeden Tag eine vernünftige Frisur, die im Idealfall zumindest ein paar Stunden hält. Eingeflochtene Zöpfe haben sich hier am besten bewährt, also lege ich los und bin wie immer erleichtert, dass mein Kind, das die Kopfkontrolle noch nicht so wirklich im Griff hat, wenigstens nicht wahnsinnig schmerzempfindlich zu sein scheint, denn immer wieder muss ich sie, in Ermangelung einer dritten Hand, mithilfe ihrer eigenen Haare stabilisieren. Ihre Proteste erfolgen in der Regel nur halbherzig und unterdurchschnittlich überzeugend, sodass wir meistens schnell fertig sind. Dann fahre ich die Sitzschale in die höchste Position, lege ihr Kinn in meine Hand und putze ihr die Zähne. Mittlerweile bin ich ziemlich gut darin, vorherzusagen, wann sie sich verschlucken könnte, um es rechtzeitig zu verhindern, ohne dabei viel an Gründlichkeit einzubüßen. Da Rosie nicht spülen und spucken kann, neige ich nach dem Zähneputzen ihren Kopf nach vorne, halte ihr ein Handtuch unter das Kinn und schütte ihr mit einem Becher etwas Wasser in den Mund, das zumindest zur Hälfte planmäßig samt der Zahnpastareste wieder herausrinnt. Der Rest wird geschluckt, aber was solls. Dann noch einmal mit einem feuchten Waschlappen durchs Gesicht wischen und Brille aufsetzen, schon ist das Bärli bereit für den Tag. Nächster Plan: Frühstück.
Ich schiebe Rosie zum Tisch, fahre die Sitzschale etwas hinunter, damit sie unter die Tischplatte passt, und dann wieder so weit hoch wie möglich, ohne, dass sie sich die Knie an den Querstreben des Tisches anschlägt. Heute ist Samstag, das heißt, wir haben Zeit, und da ich noch Teig im Kühlschrank habe, mache ich Rosie eine Waffel, und mir selbst Toasts. Ich binde ihr ein Lätzchen mit Auffangrinne um (großartige Erfindung übrigens), stelle alles, was wir brauchen, auf den Tisch, und bewaffne mich schonmal automatisch mit ein paar Blatt Küchenrolle. Profi eben.
Rosie möchte selbst essen, also lege ich ihr die Gabel in die Hand und versuche, all ihre Finger möglichst effektiv um den Griff herum zu platzieren. Dann streiche ich Nutella auf ihre Waffel, schneide sie in kleine Stücke und lege meine Hand auf ihre, um ihr beim Aufspießen zu helfen. Das „Zum Mund Führen“ der Gabel klappt schon ganz gut, nur ab und zu muss ich nachhelfen und ihr ein flüchtiges Waffelstückchen zwischen die Zähne zurückzuschieben. Von Zeit zu Zeit fahre ich ihr auch mit einem Finger in den Mund, um Teig zu lösen, der sich am Gaumen festgesetzt hat. Zwischendurch helfe ich ihr, die Gabel wieder fest und stabil mit den Fingern zu umschließen, wenn sie ihr hinuntergefallen ist. Da ich nebenher selbst esse, und ich nutelladurchzugene Kinderspucke nicht mal dann appetitlich finde, wenn sie von meinem eigenen Kind stammt, habe ich die vorbereiteten Blätter Küchenrolle bald aufgebraucht. Mit der halbwegs sauberen rechten Hand greife ich daher nach der Rolle und zupfe mit den Zähnen einige weitere Blätter ab, um nicht versehentlich die ganze Rolle mit meiner verschmierten linken Hand einzusauen. So arbeiten wir uns weiter durch Toasts, Waffel, Milch und Kaffee, wobei ich Rosie immer wieder ihre Flasche an die Lippen halte, um sie trinken zu lassen, und dann den gut mit Waffelbrei panierten Sauger mit einem Stück Küchenrolle abwische. Ich sollte echt mal überlegen, „Bounty“ Aktien zu kaufen, ich glaube, alleine unser Haushalt treibt den Umsatz gewaltig in die Höhe.
Nach dem Frühstück räume ich unser Geschirr ab, entferne das Lätzchen, spüle die Auffangrinne aus und wische Rosie Gesicht und Hände feucht ab.
Es ist jetzt halb neun, und ich habe schon ungefähr 500 Handgriffe gemacht, die mir normalerweise im Alltag gar nicht mehr auffallen, weil sie mir schon so in Fleisch und Blut übergegangen sind. Nur heute, heute fallen sie mir auf.
Meine Cousine und ihr Sohn sind dieses Wochenende zu Besuch bei uns. Er ist in etwa so alt wie Rosie, und auch seine Mama musste heute etwas für ihn machen. Kakao nämlich. Alles andere konnte er selbst.
Ja, ich weiß, dass alle Eltern immer wieder vor großen Herausforderungen stehen, es ist einfach eine anstrengende Aufgabe, Kinder großzuziehen, und diese Aufgabe kommt mit Themen daher, die man davor meistens entweder nicht erwartet, oder gnadenlos unterschätzt hat. Außerdem will ich betonen, dass ich die beiden, Cousine und Sohn, ganz furchtbar gern bei mir habe, ich freue mich immer über ihren Besuch.
Nichts liegt mir ferner, als das, was Eltern, egal, wie ihre Kinder drauf sind, tagtäglich stemmen, kleinzureden, oder deren Leistung zu schmälern. Jeder von uns hat schließlich, wie wir hier in Österreich sagen, sein „Binkerl zu tragen“.
Nur an Tagen wie heute, während meine geliebte Cousine, der ich es von Herzen gönne, auf meiner Terrasse in Ruhe einen Kaffee trinkt, und ihr Junior auf der Couch vor dem Fernseher sitzt und nichts von ihr braucht, da poppt in mir ganz kurz der Gedanke auf, dass die Art, wie wir Mutterschaft erleben, eine komplett andere ist. Manchmal erlaube ich mir ein sehnsüchtiges Seufzen und den Gedanken, dass das hier nicht die gleiche Liga ist. Es ist nicht mal der gleiche, verdammte Sport.
Mir laufen gerade Tränen über die Wangen!
Ich drücke dich!
Danke du Liebe! Meistens ist eh alles gut. Aber manchmal darf man einfach auch tief seufzen…