“Ich bin deutlich lieber von dir geschieden, als mit manch einem anderen zusammen!“, mag sich im ersten Moment nicht wie ein Kompliment anhören. Als ich es meinem Exmann in spe während seines Wochenend-Rehabesuches entgegenseufzte, war es jedoch durchaus als solches gemeint, und wurde erfreulicherweise von ihm auch so verstanden. Aber von Anfang an.
Im Jänner 2024 hatten wir uns ja erstmalig ins berühmtberüchtigte, slowakische Bootcamp begeben, und was soll ich sagen: Rosies Begeisterung war enden wollend. Für den ungeschönten Erfahrungsbericht, siehe Die Adeli-Experience, Teil 1 (ff).
Mit entsprechend viel Bauchweh haben wir uns also auch in diesem Jahr auf das Abenteuer Adeli eingelassen, ich hatte durchaus befürchtet, ein Revival der letztjährigen, lautstarken Unmutsbekundungen zu erleben, und mir bereits im Vorfeld in mehreren Pep-Talks mit Sätzen wie „Du schadest ihr damit nicht“, „Es bringt ihr so viel“, „Sie wird sicher davon profitieren“ und „Für deine Nerven gibt es immer noch Weißwein“ Mut zugesprochen. An Tag eins sah es auch durchaus noch danach aus, als ob sich meine dunklen Vorahnungen bewahrheiten würden. Die Erinnerungen an vergangene Unbill tauchten offenbar aus den Tiefen des kindlichen Gedächtnisses auf, und die „Vorfreude“ auf die bevorstehende Zeit war daraufhin so groß, dass man es mal wieder über zwei Stockwerke hören konnte. „Herrlichkeit“, dachte ich mir, „da kann ich an der Bar gleich einen Dauerauftrag einrichten“.
Doch dann geschah das Wunder: Rosie, um ein Jahr älter, reifer und zur Schülerin befördert, war dem Kleinkindstadium definitiv entwachsen, und durch den damit einhergehenden Entwicklungssprung taten sich für mich als Mutter und Motivationsverantwortliche zwei völlig neue Möglichkeiten auf, nämlich geschickte Verhandlung und hemmungslose Bestechung.
So ganz allmählich erschließen sich Rosie einfache „wenn – dann“ Zusammenhänge, und die Konzepte „Wenn du dich aufführst wie eine trotzige Zweijährige, dann ist die Mama den restlichen Tag über nicht wirklich zu Spiel und Spaß aufgelegt“, beziehungsweise „Wenn du dich benehmen kannst, wie eine Siebenjährige, die langsam versteht, dass ihr das Training hier gut tut, auch wenn es anstrengend ist, dann werden wir beide echt eine gute Zeit haben!“, konnten tatsächlich ab dem zweiten Tag für einen deutlichen Zusammenriss seitens des Kindleins sorgen.
Dazu noch ein Vorbild in Form einer 17jährigen Patientin mit pinken Haaren, und ein gezielt eingesetztes Versprechen, dass Mädchen, die sich benehmen wie vernünftige Schulkinder, eventuell ihre Haarspitzen lila gefärbt bekommen, und schon liefen sowohl die Therapien, als auch die Leerzeiten rundherum, erstaunlich harmonisch ab.
Fügt man dem noch die Tatsache hinzu, dass wir ein paar echt coole Weiber samt echt coolem Nachwuchs kennenlernen durften, Rosie Headbangen gelernt, fangen gespielt und sich mitunter, wenn die Mama ihr zu langweilig war, einfach selbständig mit ihrem Rolli auf die Suche nach spannenderem Entertainment gemacht hat, lässt sich zusammenfassend sagen: allmählich können wir Reha.
Natürlich ist es immer noch ein Ausnahmezustand. Natürlich tut mir alles weh, weil ich die Pflege jeden Tag alleine übernehmen, und noch dazu in einem mittelmäßig bequemen und vor allem ungewohnt schmalen Klinikbett schlafen musste. Natürlich bin ich „overtouched“, weil ich Rosies einzige Kuschelquelle, und sie entsprechend anhänglich war. Und natürlich gab es kaum eine Mahlzeit, die ich in Ruhe und mit zwei sauberen, nicht mit Spucke und Essensresten verschmierten Händen zu mir nehmen konnte. Aber abgesehen davon ist es uns definitiv schon mal schlechter gegangen, auf Reha und auch im Leben. Wie immer gab es jede Menge Austausch unter den Eltern, und bei dem, was man im Restaurant, an der Bar und zwischen den Therapien über andere Familien erfährt, hat man selten den Eindruck, dass irgendjemandes Gras hier nennenswert grüner wäre, im Gegenteil. Tauschen will ich mal wieder mit niemandem, schon alleine deswegen, weil ich mich an meinen eigenen Shit und Rosies spezifische Bedürfnisse zumindest schon gewöhnt habe.
Zudem ist meine familiäre Situation derzeit zugegebenermaßen nur so mittelgeil, und mir ist schon klar, dass ich mich beziehungsmäßig nicht auf einem hohen Ross, sondern maximal auf einem Shetlandpony befinde. Aber immerhin muss ich mich nicht mit einem Kerl auseinandersetzen, der Kinderbetreuung scheinbar als Hobby ansieht und daher der Meinung ist, die alleinige Entscheidungsgewalt über „sein“ Geld (aka das Familieneinkommen) zu haben. Oder mit einem, der sich nach jahrzehntelanger Beziehung und einem gemeinsamen, pflegebedürftigen Kind, keinen einzigen Gedanken über die finanzielle Absicherung seiner Partnerin gemacht hat. Oder mit einem, der vor neuen Bekanntschaften gleich mal Witze über die „großen Tepf“ (für die Nicht-Wiener: große Töpfe, umgangssprachlich für große Brüste) seiner Frau macht, und die Eier am Frühstücksbuffet als Anlass sieht, auffordernd zwischen seine Beine zu deuten. Und ja, sowas gab es wirklich. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass ich meinen Mund nur selten halten konnte, und manch einer bei meinem Anblick eiligst auf die Terrasse entschwunden ist, um sich zu verstecken eine Zigarette zu rauchen.
Derart desillusioniert über den Zustand anderer Leute Beziehungen ist es mir dann doch lieber, in langsam aber stetig wieder stabiler werdender Freundschaft getrennt zu sein, als solcherart verpartnert. Daher auch das einleitend erwähnte Kompliment an den Ex, der mich zwar zuweilen aufregt, aber im Vergleich dann doch nicht so übel ist. Und das auch nicht nur, weil die Messlatte, die wir gesamtgesellschaftlich zur Definition eines guten Partners und Vaters ansetzen, echt nicht besonders hoch zu sein scheint.
Mein Fazit dieses Mal lautet also, dass Rosie ein ganz wunderbar tolles und fleißiges Bärli ist, die Intensivtherapie meiner Meinung nach für uns die beste Art der Reha darstellt, Bestechung wirkt und als Motivationsmaßnahme absolut erlaubt ist, manche Männer sich noch anschauen werden, jetzt, wo ich mit ihren Frauen bekannt bis befreundet bin und zur Rebellion aufrufe, und dass Reha mit der richtigen Gesellschaft eindeutig mehr Spaß macht.
Den Dauerauftrag an der Bar hatte ich übrigens trotzdem, und die slowakischen Kellner*innen wissen jetzt auch alle, was ein weißer Spritzer ist. Aber auf Reha zählt´s nicht, hab ich mir von einer Mutter sagen lassen, die schon 20 Mal hier war. Und die muss es schließlich wissen. In diesem Sinne Prost, und bis zum nächsten Mal. Für September haben wir schon gebucht.