Einer dieser Tage

Es schneit! In Wien! Gefühlt ein Jahrhundertereignis, das man natürlich ausnutzen muss. Und weil ich eine gute, engagierte Mama sein will, die das Kind toll bespaßt und gleichzeitig ihre kleinen Lungenflügel mit frischer, gesunder Luft füllt, wird selbstverständlich die Rodel ausgepackt, die uns das Christkind netterweise beschert hat.

Der Mann muss, wie meistens am Samstag, arbeiten (ja, „selbstständig“ heißt wirklich „selbst und ständig“), weswegen das Kind und ich alleine die Liechtensteinschen Höhen erklimmen. Oben angekommen sind die Wege planmäßig verschneit, und nachdem 15 Minuten später auch alle Beteiligten alles anhaben, was sie sollen, und mir bereits der erste Schweiß von der Stirn tropft, kann es los gehen.

Ein Kind wie unseres halbwegs sicher auf einer handelsüblichen Rodel zu verstauen, hat so seine Tücken. Zwar kann Rosie, an guten Tagen und mit entsprechendem Untergrund, schon minutenweise halbwegs stabil sitzen, aber wenn ich sie, während ich sie hinter mir herziehe, nicht alle paar Augenblicke wieder geraderücken und mit dem Popo nach hinten schieben möchte, muss ich mir etwas einfallen lassen. Also schlinge ich ihr meine ärmellose Weste um den Bauch, fädele sie durch die Stäbe der Rückenlehne und schließe hinter ihr den Reißverschluss, so gut es geht. Physiotherapeutisch/orthopädisch ist das vermutlich nicht die optimale Rückenunterstützung, aber für den Moment muss es reichen, und ich klopfe mir ob meines McGyver-Moments stolz auf die Schulter.

Wir sind also startklar, und top motiviert stapfe ich mit Rosie im Schlepptau los. Die ersten 200 Meter geht es gut dahin, danach beginnt der Anstieg. Klar, wer wo runter rodeln möchte, der muss vorher auch hinaufgehen. Also schnaufe ich uns den Weg hinauf, während der undankbare Fratz hinter mir schon erste Anzeichen von Quengeligkeit zeigt. Ich versuche, die Stimmung mit Ablenkungsmanövern positiv zu beeinflussen („Schau, ein Hund! Hör mal, sooo viele Vögel!“), der Erfolg ist mäßig.

Egal, denke ich mir, beim Runterrodeln wird sie sicher wieder lachen, das gefällt ihr bestimmt! Am Ende der Steigung angekommen, setze ich das Kind neben mir auf den Boden (mit Schnee um den Popsch und Böschung im Rücken klappt das auch einigermaßen), während ich die Rückenlehne der Rodel abschraube, denn Mamas Hintern ist für andere Dimensionen gebaut und passt da nicht dazwischen. Ich ziehe mir die Lehne über den Arm, installiere das Kind vor mir, sodass ich ihr Becken gut halten kann, und los geht’s. Es ist herrlich, der Fahrtwind pfeift uns um die Nase, der frische Schnee unter uns knirscht, das innere Kind in mir jauchzt enthusiastisch. Das äußere Kind vor mir zeigt dagegen nur sehr verhaltene Begeisterung, die gegen Ende der Fahrt sogar in aktiven Protest umschlägt.

Das hat man also davon, dass man sich sogar unter cerebralparesenmäßig erschwerten Bedingungen ein Outdoor-Unterhaltungsprogramm antut: einen Tobsuchtsanfall, weil der Raunzbär nicht auf der Rodel sitzen möchte.

Der restliche Vormittag zehrt grausam an meinen Nerven. Wir versuchen es noch mit dem Spielplatz, der am Weg liegt, aber Rutschen, Schaukeln und durch den Schnee Stapfen werden lautstark abgelehnt. Die anderen Eltern betrachten mich mit wissenden, mitleidigen „been there, done that“-Blicken und freuen sich, dass es nicht gerade ihr Spross ist, der sich hier so aufführt. Also packe ich das sich windende Kind wieder auf die Rodel, fixiere sie notdürftig mit eingangs erwähntem Improvisationshüftgurt, und mache mich auf den Weg zurück zum Auto. Während wir so durch den Schnee pflügen, und ich versuche, die lustigen Kommentare der uns entgegenkommenden Pensionisten („dem armen Kind ist sicher kalt“, oder „na, war die Mama nicht lieb zu dir“) mit einem halbwegs freundlichen Lächeln zu quittieren, betrachte ich etwas wehmütig die anderen Kinder, die Schneemänner bauen, mit ihren Bobs über die abschüssige Wiese flitzen, oder sich bäuchlings auf die Rutsche stürzen. Ich weiß, dass es unfair ist, weil ich keine Ahnung habe, was in diesen Familien so abgeht. Ich weiß, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat, und ich weiß, dass alle Eltern mit ihren ganz eigenen Herausforderungen zu kämpfen haben. Und trotzdem kreist in meinem Kopf nur dieser eine Gedanke: „Das sieht alles so einfach aus!“

Der andauernde Vergleich ist glaube ich die größte Herausforderung an unserer Situation. Wir versuchen, uns nicht bremsen zu lassen. Wir unternehmen Ausflüge, treffen Freunde, leben einen ganz normalen Familienalltag. Und das klappt auch ganz gut, nur fällt uns eben ständig auf, dass alles, was wir tun, einfach mit deutlich mehr Aufwand verbunden ist, als bei anderen. Es gibt Tage, da kann ich das mittlerweile sehr gut ausblenden, weg atmen und mich darüber freuen, dass Rosie so ein lieber Sonnenschein ist. Und dann gibt es Tage, da möchte ich mich in den Schnee setzen, den Kopf in den Händen vergraben und weinen. Heute ist einer dieser Tage.

Was solls, denke ich mir, und lasse die rodelnden Kinder anderer Leute hinter mir. Jetzt ist es erst Mal Zeit für den Mittagsschlaf, und morgen ist ein neuer Tag. Ich bin gespannt, was es für einer wird.

close

Blog abonnieren

Du möchtest in Zukunft keinen Blogbeitrag mehr verpassen? Dann trage einfach hier Deine E-Mail-Adresse ein und erhalte neue Blogbeiträge automatisch in Dein E-Mail-Postfach.

Hiermit stimmst du ausdrücklich nur der Information über neue Beiträge per E-Mail zu. Dies ist keine Anmeldung zu einem Newsletter oder ähnlichen automatischen Emails. Und Deine Daten sind bei mir natürlich sicher und werden nicht an Dritte weitergegeben!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert