Rosie rockt die Reha – Vol.1

Nachdem es lange Zeit irgendwie nur so eine vage Idee war, eine Theorie, etwas, das in ferner Zukunft mal stattfindet, ist es jetzt doch plötzlich passiert: Rosie und ich sind in die Rehaklinik Judendorf-Straßengel in der Steiermark eingerückt, und werden hier die nächsten vier Wochen verbringen. „Das Abenteuer“, wie wir es in den letzten Wochen genannt haben, hat begonnen…

Für die nächste Zeit wird dieser Blog also zu unserem „Reha-Tagebuch“, in dem ich mich, trotz hoffentlich täglicher Zusammenfassungen, um ein gewisses Maß an Kurzweil für den geneigten Leser bemühen will. Ich hoffe auf ein paar saftige Skandale, um mir das Schreiben zu erleichtern. Immerhin ist das hier eine Klinik, und ich habe in meinem Leben genug Grey´s Anatomy gesehen, um zu wissen, dass in derlei Etablissements in vier Wochen mindestens zwei Ehen geschlossen, drei geschieden und im Schnitt 2,5 Kinder gezeugt werden. Hier auf der Kinderabteilung geht es vermutlich nicht ganz so wild zu, aber irgendwas Spannendes werden wir schon erleben!

Mittwoch, 06.10.2021
So, das war er also: der erste Tag unserer Reha. Vier Wochen werden wir hier verbringen, in einem dottergelb gestrichenen Zimmer mit dem Charme einer 80er Jahre Frühstückspension, eingerichtet in Buche Natur und schrecklich-farbenfrohen Stoffelementen. Dafür gibt´s aber Krankenhausbetten, Linoleumboden und Instantkaffee, und über allem liegt dieser unverkennbare Geruch nach Desinfektionsmittel und Kantinenessen. Geil.

Fairerweise muss ich sagen, dass ich froh bin, mich über Dinge wie Einrichtung und olfaktorische Belästigungen echauffieren zu können. Während unserer letzten Reha vor zwei Jahren war ich zu sehr mit verzweifelten Zukunftsvisionen und genereller Überforderung beschäftigt, um das Ambiente überhaupt wirklich wahrnehmen zu können. So gesehen also ein großer Schritt nach vorne.

Nach unserem Early Bird Dinner um 17 Uhr (die haben hier Zeiten, da könnt sich ein Seniorenheim noch was abschauen!), gab‘s für Rosie noch ein bisschen „Lauras Stern“ am iPad, und für mich noch ein bisschen Me-Time auf der Terrasse, selbstverständlich stilecht mit einem Piccolo für die Nerven. Hier herrscht zwar laut Informationsmappe striktes Alkoholverbot, aber ich habe beschlossen, dass das nur für Patienten gilt, nicht für Begleitpersonen, und Rosie hab´ ich ja eh nichts abgegeben. Die leere Flasche habe ich zwischen meinen T-Shirts versteckt, um nicht durch eine allzu mitteilsame Reinigungskraft aufzufliegen, und fühle mich wie eine 16jährige, die sich die Hände einparfümiert, damit die Mama nicht merkt, dass sie heimlich geraucht hat.

Alles in allem ist die Stimmung also durchaus als stabil bis gut zu bezeichnen. Jetzt versuche ich, auf meiner 90cm breiten Matratze Schlaf zu finden, und vermisse mein Boxspringbett bereits heftig. Oh, und den Mann natürlich auch, aber der breitet sich gerade genüsslich auf 180cm aus, und wird morgen fix keine Rückenschmerzen haben, also sind meine Gefühle ihm gegenüber nicht ganz ungetrübt. Der Neid ist ein Hund.

Morgen beginnen die Therapien, man darf gespannt sein. Augen zu also, damit wir fit sind, für alles, was der Tag so bringt!

Donnerstag, 07.10.2021
Tag zwei ist geschafft. Und ich auch! Heute hatten wir nur jeweils 30 Minuten Therapieerstgespräche, die zwar sehr nett, aber eben auch nicht wirklich tagesfüllend waren. Zusammen mit dem derzeit herrschenden Grausewetter hat das also dafür gesorgt, dass Rosie und ich heute jede Menge Indoor-Freizeit hatten. Also, für Rosie war es Freizeit. Für mich eher ein Fulltimejob, denn nach 6 Stunden Puppenspielen, Buch lesen, Bausteintürme zum späteren Wiederumwerfen aufbauen und Lieder singen bin ich eher geschlaucht. Kinderbespaßung in ungewohnter Umgebung ist einfach nochmal ein Euzerl anstrengender als daheim.

Während einer Regenpause am Nachmittag konnten wir auch den großen Garten auschecken, zu dem man eigentlich schon fast Park sagen könnte. Ich hoffe auf schöneres Wetter in den nächsten Wochen, denn wenn wir zumindest spazieren gehen können, ist bezüglich Unterhaltungsprogramm schon viel gewonnen.

Körperlich beginne ich mich, obwohl ich erst zwei Tage hier bin, schon etwas verwahrlost zu fühlen, und das, obwohl ich mir mehrmals täglich die Haare bürste und meine Wimpern getuscht sind. Aber das machen Krankenhausgänge und Jogginganzüge mit einem. Man fühlt sich immer irgendwie gammelig, obwohl man geduscht, eingecremt und geschminkt ist. Nach den vier Wochen werde ich vermutlich aussehen wie die einst in Äthiopien entdeckte Lucy, natürlich als sie noch mehr war als ein Haufen alter Knochen. Australopithecus lässt grüßen. Ich fürchte nämlich, aufs Schminken und Bürsten werde ich irgendwann pfeifen. Mal sehen, wie lange ich durchhalte. Wetten werden noch angenommen.

Freitag, 08.10.2021
Tag drei unserer Reha, und gleich mal zu spät in die Physiotherapie gekommen. Hatte mir ganz fest eingebildet, 16 Uhr gelesen zu haben, dabei war es leider doch 15:30. War mir natürlich furchtbar peinlich, denn so chaotisch ich normalerweise bin, wenn es um mich selbst geht, so organisiert bin ich doch auf der anderen Seite bei Rosies Terminen. Nächste Woche werde ich also jede Uhrzeit doppelt und dreifach checken.

Jetzt gilt es aber erst mal, das Wochenende rumzubringen. Morgen liegt ein langer, therapieloser Samstag vor uns. Ich hoffe auf etwas Sonne, damit wir zumindest einen ausgedehnten Spaziergang machen können. Dem Mann habe ich auch schon die Lieferung weiterer Mal- und Bastelsachen aufgetragen, denn nachdem unsere Fingerfarben heute auch bei anderen Kindern großen Anklang gefunden haben, werden wir damit vermutlich keine vier Wochen auskommen. Und gemeinsames Malen und Basteln mit den Kids ist erstens eine gute Beschäftigung, und zweitens auch eine Gelegenheit, mit anderen Eltern ins Gespräch zu kommen.

Hier ist so ziemlich alles vertreten: Geburtsschäden, Krankheiten, Unfälle, Gendefekte. Alles, was man sich für sein Kind nicht wünscht. Die Stimmung unter den Eltern ist dennoch erstaunlich gut, man merkt, dass einige „alte Hasen“ dabei sind, die beim Thema Akzeptanz schon ein paar Schritte weiter sind als manch anderer. Der Umgang mit den Kindern ist, weil wir ja alle ein, in welcher Form auch immer, beeinträchtigtes Kind haben, von einer sehr entspannten Selbstverständlichkeit geprägt. Das ist auch mal eine schöne Abwechslung. Man wird weder mitleidig, noch neugierig, noch betont freundlich und positiv behandelt, sondern einfach ganz normal.

Langsam merke ich, wie anstrengend es ist, alles alleine machen zu müssen und keine Pause zu haben. Jede Mahlzeit, jede Unterhaltung, jeder Trotzanfall, jedes Raunzen und jedes hin und her Heben gehören mir. Ich versuche, mich darauf zu konzentrieren, dass dafür auch jedes Bussi und jede Umarmung mir gehören, aber so eine Übermutter bin ich einfach nicht, dass ich nicht dazu bereit wäre, ein bisschen kindliche Zuneigungsbekundungen gegen ein bisschen Me-Time einzutauschen. Am Sonntag darf endlich der Mann für ein paar Stunden kommen. Bis dahin hoffe ich einfach mal, dass mir weder die Fingerfarben, noch der Prosecco ausgehen.

Samstag, 09.10.2021
Den ersten therapie- und somit beschäftigungslosen Samstag haben wir bravourös gemeistert! Wir sind mit einem ausgedehnten Frühstück entspannt in den Tag gestartet, haben dann mit der Rückentrage die Gegend erkundet, waren am Spielplatz und haben Bücher gelesen, Bilder gemalt und ein Brettspiel gespielt. Ich möchte mir gerne voller Stolz auf die Schulter klopfen, weil ich Rosies übliche Fernsehzeiten bisher nicht nennenswert ausgedehnt, sondern höchstens zeitlich ein bisschen umverteilt habe. Im Großen und Ganzen finden wir uns tatsächlich auch ohne die Hilfe von Bobo, Conni und Laura ganz gut was zu tun. Natürlich kommt es mir dabei massiv zugute, dass Rosie immer noch brav ihren Mittagsschlaf macht. Müsste ich mir für weitere ein bis zwei Stunden Programm aus dem Allerwertesten ziehen, würde das iPad wesentlich intensiver zum Einsatz kommen!

Es gibt hier auch einige Eltern, die daheim noch Geschwisterkinder haben, was ich mir ziemlich knackig vorstelle, und sogar eine Mutter, die ihren Zweijährigen dabei hat, während sie ihren 15jährigen hier bei seiner Reha betreut. Wir anderen schauen ihr voller Bewunderung dabei zu, wie sie das vier Wochen lang durchhält, ohne durchzudrehen, und fragen uns, wann sie eigentlich zum duschen, stoffwechseln und durchatmen kommt. Gott sei Dank schläft ihr Kleiner recht brav, und selten habe ich das einer Mutter so von Herzen gegönnt wie dieser hier.

Langsam stellt sich unter den Eltern, neben dem Verständnis füreinander, auch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl ein. Man kennt die Gesichter und manchmal sogar die Namen, weiß, welche Kinder zu welchen Erwachsenen gehören, und hat auch schon die eine oder andere dazugehörige Geschichte erfahren. Man bindet Kinder, die einem nicht gehören, automatisch beim Spielen mit ein, tauscht sich über Therapieerfahrungen aus und beginnt bewusst, gemeinsame Pläne zu machen, anstatt sich immer nur zufällig zu begegnen. Morgen machen ein paar von uns einen gemeinsamen Spaziergang. Angeblich gibt es hier irgendwo Alpakas, die wir natürlich aufspüren müssen. Ob wir das für die Kinder machen, oder doch eher für uns? Vermutlich beides, was ja eigentlich den Idealfall darstellt. Ich werde berichten, ob wir auf unserer Safari erfolgreich waren.

Sonntag, 10.10.2021
Unsere Alpakajagd ist leider im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen, denn das Wetter hier ist gelinde ausgedrückt eine Frechheit. Sowohl kulinarisch als auch meteorologisch könnten wir uns auch irgendwo in England aufhalten. Nur der ausgeprägte steirische Dialekt des Personals gibt Aufschluss darüber, wo wir uns tatsächlich befinden.

Zumindest mit einer anderen Mutter konnte ich mich aber zusammentun, die mit mir gemeinsam dem Regen getrotzt, und frische Luft für wichtiger als trockene Füße befunden hat, wodurch wir uns am Vormittag die Zeit mit Spazieren gehen und Tratschen vertreiben konnten. Seit dem Mittagsschlafende ist der Mann da, und ich genieße die einzigen beiden Stunden für die nächste Woche, in denen ich nicht mit Rosie zusammen bin. Es regnet nicht mehr, also war ich zuerst eine Runde laufen und habe Vater und Tochter dann zu einem weiteren Spaziergang verabschiedet, während ich mich über das leere und dadurch plötzlich viel größere Zimmer freue. Ich fürchte mich zwar jetzt schon vor dem Moment, wenn Rosie sich wieder von ihrem Papa verabschieden muss, aber bis dahin genieße ich die Ruhe und sammle Kraft für die nächste Woche. 5 Tage sind geschafft – 24 to go!

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2 Gedanken zu “Rosie rockt die Reha – Vol.1”

  1. Hallöchen, bin zufällig auf deinen Blog gestoßen und kann nur sagen, ganz ganz großes Kompliment das du alles schaffst. Ich bewundere dich und deine kleine Rosie. Habe deine ganze Geschichte und jetzt auch vol 1 gelesen und bin schon gespannt wies weitergeht… LG 😘

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