Dienstag ist Weintag

Es gibt ja so Lieblingstage in der Woche. Die, wo man weiß, dass man üblicherweise ein nettes Programm hat, man regelmäßig die beste Freundin trifft, oder abends einfach nur die Lieblingssendung im Fernsehen läuft. Und dann gibt es die anderen Tage. Die, wo man jede Woche morgens beim Aufstehen schon weiß, dass es am Abend vermutlich mehr als ein Achterl Veltliner brauchen wird, um die geschundenen Nerven zu streicheln.

Mit 15 mochte ich den Mittwoch gerne, da ich da nur 5 Stunden Unterricht hatte, und keine davon war Latein. Später verlagerte sich das in Richtung Wochenende, die Gründe dafür muss ich vermutlich nicht näher ausführen. Erklärter Wäh-Tag war selbstverständlich, damals wie auch später, der Montag.

Mit Kleinkindern verschiebt sich das etwas, da Montage nicht mehr primär heißen, dass die Arbeit wieder beginnt, sondern vor allem, dass der Kindergarten wieder seine Pforten öffnet, was definitiv jeden Nachteil, den dieser Tag sonst so mit sich bringt, übertrumpft. Durch die betreuungspflichtbedingt erschwerten Partybedingungen verliert auch das Wochenende irgendwie seinen Reiz, also hängen die Wochentagspräferenzen in meinem Fall vor allem damit zusammen, welche Stimmung beim Kind im Zuge der jeweils geplanten Aktivitäten zu erwarten ist.

Aus diesem Grund ist mein offizieller Anti-Tag derzeit der Dienstag, denn Dienstag heißt „Feldenkrais“. Bei der Feldenkrais-Methode handelt es sich um eine ganzheitliche, sehr körperbetonte Therapieform, die Rosie dabei helfen soll, hilfreiche Bewegungsmuster zu trainieren und zu festigen. Im Grunde läuft dabei alles sehr spielerisch ab, Rosie mag ihre (ausgesprochen liebe und fröhliche) Therapeutin, und es könnte alles so einfach sein. Wenn da nicht diese kleine Nebensache namens Trotzphase wäre, die dazu führt, dass Rosie sich derzeit gegen alles, was sie auch nur einen Zentimeter aus ihrer Komfortzone herausholt, mit Händen, Füßen und Stimmbändern wehrt. Sehr wichtig für ihre motorische Entwicklung ist es zum Beispiel, dass wir an der Bauchlage arbeiten, damit sie in weiterer Folge mal zum Robben, Knien oder sogar Krabbeln kommen kann. Bloß schreit sie derzeit leider Zeter und Mordio, sobald ihr Bauch den Boden berührt, und obwohl sie sich eigentlich schon recht gut abstützen kann, lässt sie ihren Kopf theatralisch auf die Matte fallen und weint empört, wodurch die Spasmen in ihren Armen, die unter anderem durch Aufregung beeinflusst werden, noch stärker werden, und das Abstützen dann tatsächlich gar nicht mehr klappt. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt unserer allwöchentlichen Dienstagsfreuden.

Das Problem an der Sache ist, dass ich weiß, wie wichtig diese Übungen für Rosie sind, und dass ich sie ihr weder ersparen kann, noch will. Ich weiß, dass sie sich wohler fühlen würde und deutlich weniger oft frustriert wäre, wenn sie ein kleines bisschen Unabhängigkeit von mir erlangen könnte. Sie ist jetzt in einem Alter, wo Kinder nicht mehr dauernd auf ihrer Mama hängen wollen, wo sie die Welt selbständig entdecken und Dinge ausprobieren möchten. Doch um das zu erreichen, braucht sie eben das entsprechende Handwerkszeug, und das wird sie sich ohne ausreichend Übung nicht aneignen können.
Leider ist Rosie zwar alt genug, um ganz genau zu wissen, was sie will, und was sie gerade nicht will, aber eben noch nicht alt genug, um ihr wirklich mit vernünftigen Argumenten zu kommen. Ich versuche zwar immer, ihr zu erklären, wieso bestimmte Dinge jetzt gerade notwendig sind, und wofür wir das alles machen, aber wer schon einmal versucht hat, einem protestierenden Kleinkind, das gerade keinen Bock hat, mit Logik zu kommen, der kann sich in etwa vorstellen, wie weit mich das bringt.

Während ich in anderen Lebensbereichen mittlerweile relativ gut mit meinem oftmals aufbrausendem Charakter klar komme, und auch vieles, was mit Rosalie zu tun hat, mit deutlich mehr Gelassenheit nehmen kann als früher, tue ich mir mit dieser Situation unendlich schwer. Ich reagiere frustriert, ungeduldig und zornig, und ich möchte sie am liebsten schütteln und rufen: „Ich mach das alles hier nicht für mich, also versuch wenigstens, mitzuspielen!!!“. Es kostet mich extrem viel Energie und Selbstbeherrschung, diesem Drang nicht nachzugeben, denn rational betrachtet ist mir natürlich klar, dass das nichts bringt. Bloß ist man einfach nicht immer rational, und das Gefühl, zu wissen, dass man seinem Kind helfen könnte, wenn es einen nur ließe, kann das Blut schon mal zum Kochen bringen.

Ich weiß, dass sich das auch wieder ändern wird. Wie alles im Leben ist auch das hier nur eine Phase, die sich wieder raus wachsen wird. Bis dahin bleibt der Dienstag unser „Weintag“: Rosie weint in der Therapie, während ich versuche, meinen Frust wegzuatmen, sehnsüchtig an die Flasche in meinem Kühlschrank denke, und es kaum erwarten kann, nach Hause zu kommen, dem Mann das Kind mit den Worten „Therapietage zählen doppelt!“ in die Hand zu drücken, und mich mit einem gut gefüllten Glas irgendwo hin zu setzen, wo mich für ein paar Momente niemand stört. Ein Hoch auf den Weißwein.


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