Reha-Life Woche 3

PMS und dritte Woche. Was soll ich sagen, die letzten Tage waren entsprechend anstrengend.

Rund um die Halbzeit stellt sich während einer vierwöchigen Reha gerne mal eine gewisse Überdrüssigkeit ein. Die Zeit, die man hier verbracht hat, kommt einem doch schon recht lang vor, und die Vorstellung, dass nochmal so viele Tage vor einem liegen, lässt einen mitunter kraftlos in sich zusammensinken.

Dazu kommen Gespräche mit den Therapeuten, über Fortschritte, realistische Ziele, und am besten täglich durchzuführende Übungen und Handgriffe, die man „einfach so lange in den Alltag einbauen“ soll, bis sie zur Routine werden. Natürlich wissen alle Therapeuten, dass sie einem kein einstündiges Programm auftragen können, weil das nicht realistisch ist für Eltern, die nebenher auch noch ein eigenes Leben haben, und sich daher nicht zur Gänze der Kindesförderung verschreiben können. Aber wenn jeder Therapeut mit „ein paar einfachen Dingen“ daherkommt, dann ist die Liste am Schluss halt doch wieder tagesfüllend. Und durch Sätze wie: „Das Ziel ist ja nicht, dass sie sich mal allein die Schuhe ausziehen kann, sondern dass wir versuchen, den Muskeltonus zu regulieren!“, wird einem wieder so richtig bewusst, wie viel Arbeit noch vor einem liegt. Auf das elterliche Energielevel hat das in etwa den gleichen Effekt, wie wenn man aus einem Plantschbecken den Stoppel rauszieht.

Solche Tage kennen alle pflegenden Angehörigen, weswegen man von Zeit zu Zeit bei den meisten Eltern hier einem Gesichtsausdruck begegnet, den ich gerne liebevoll den „Mir reicht´s, ich geh schaukeln“-Blick nenne. Dabei handelt es sich um ein kraftloses „ins Leere starren“ mit leicht gerunzelter Stirn, gefolgt von einem tiefen Seufzen, das schließlich in ein energisches Kopfschütteln mündet, um den kurzen Moment der Schwäche wieder abzubeuteln, da man sich den eigentlich nicht leisten kann.

Ein behindertes Kind zu haben, bringt mitunter einen Grad der Erschöpfung mit sich, den man sich zuvor nicht vorstellen konnte. Und zwar nicht nur körperlich, obwohl das vor allem mit zunehmendem Gewicht der Kinder durchaus auch ein Thema ist, sondern vor allem psychisch. Zu wissen, dass das schrittweise Erreichen der Selbständigkeit, das Loslösen von den Eltern, das Flügge werden der Kinder, das für andere Familien so selbstverständlich ist, bei uns einfach nicht so stattfinden wird, wie bei anderen, lässt den Weg, den man noch zu gehen hat, unendlich lang erscheinen. Und auch, wenn natürlich alle Eltern sich Sorgen um ihre Kinder und deren Zukunft machen, haben diese Gedanken bei uns nochmal eine andere Qualität.


Was passiert mit meinem Kind, wenn ich nicht mehr da bin? Wenn ich nicht mehr genug Kraft habe, wenn ich zu alt werde? Wenn ich mir seine/ihre Pflege nicht leisten kann? Wenn das Gesundheit- und Sozialsystem in fünfzig Jahren nicht mehr das gleiche ist wie heute? Oder sogar schon in zwanzig? Wenn unsere Insel der Seligen, auf der wir in Österreich leben, und an die wir uns gewöhnt haben, in den Fluten des Weltgeschehens untergeht?

Mein Kind wird nie zu den Starken gehören, die auch mit widrigen Umständen zu leben lernen, die sich durchkämpfen können, die sich auch in einer dystopischen Zukunft durchschlagen werden. Mein Kind wird dann auf der Strecke bleiben. Und selbst, wenn die Zukunft der Welt rosig aussieht, wird sie es immer schwerer haben, als andere. In der Schule, im Berufsleben, in Freundschaften und Beziehungen. Oder einfach nur, wenn mal wieder ein Aufzug defekt ist.


Meistens kann man diese Gedanken gut ausblenden, von Tag zu Tag leben, maximal bis zur nächsten Woche denken. Diese kleinen Abschnitte sind überschaubar, und dadurch mit etwas Übung gut zu schaffen. In kurzen Zeiträumen erlebt man Normalität, Spaß, teilweise sogar Leichtigkeit. Aber manchmal braucht es nur einen Satz, eine Situation, oder eine Nacht, in der man schlecht geschlafen hat, und der sorgfältig aufgestellte Zaun, den man um seine allgegenwärtigen Sorgen herumgezogen hat, bricht zusammen. Und so schnell, wie er eingestürzt ist, so mühsam ist es, ihn wieder aufzustellen. Wer schon mal einen Zaunstempel geschultert und eingeschlagen hat, und zwar im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinn, der weiß, wovon ich spreche. Kann man durchaus vergleichen, finde ich.

Abgesehen von diesem kurzen, emotionalen Durchhänger der letzten Tage, der in vier Wochen Reha allerdings recht erwartbar war und mich deswegen auch nicht sonderlich erschüttern konnte, steppt hier mal wieder der Bär. Im Ort wurde ein neuer Supermarkt eröffnet, und wenn sogar dieses kulturelle Highlight für Kurzweil sorgen kann, und man dann um jeden Schokopudding fürs Kind extra zum „neuen Billa“ pilgert, um andere Menschen zu sehen und ein gratis Gläschen Sekt abzustauben, dann sagt das, so fürchte ich, schon sehr viel über unser aller Sehnsucht nach Action aus.

Zudem hat meine Prosecco-Posse, also die Mütter, mit denen ich in den letzten zwei Wochen das eine oder andere Mal angestoßen habe (auf das Leben, auf unsere Kinder und auf uns), mich leider verlassen, die haben es schon hinter sich. Gönne ich ihnen natürlich total. Und bin gar nicht neidig. Würd mir nicht einfallen. Freu mich voll für die. Bitches.

Das heißt also, dass ich mir für die letzte Woche eine neue abendliche Gesellschaft suchen muss, oder der Detox-Plan der ersten Tage doch auf den letzten Metern wieder reaktiviert wird. Da allerdings erfahrungsgemäß die vierte Woche mit Abstand am langsamsten vergeht (Einstein lässt grüßen, alles ist relativ), klingt das nicht allzu verlockend, also werden Rosie und ich uns die Neuankömmlinge der letzten Tage mal genauer anschauen. Wer weiß, vielleicht finden wir ja neue Freunde.    

Es gibt übrigens auch ein Update zum Wäschedrama der letzten Woche, nämlich, dass es eigentlich komplett umsonst war. Beide beteiligten Damen mussten die Reha offenbar wegen Nichteinhaltung der Ausgangsregeln ein paar Tage nach der Eskalation abbrechen. Hätten sie also gleich daheim waschen können. Kann man mal sehen, dass sich Streit einfach nicht lohnt. Frieden, Leute! Und damit auf in den Endspurt.  

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