Käse, Wein und ich

Das klingt nicht nur wie eine verlockende Kombination für einen Freitagabend, es ist auch eine vortreffliche Metapher für etwas, das mir immer deutlicher bewusst wird, je weiter mein Freundeskreis in den Bereich vordringt, in dem runde Geburtstage gesellschaftlich eher gefürchtet als gefeiert werden. Denn ich finde, alle drei werden wir nicht nur älter, sondern auch besser.


Ich bin also keine 20 mehr. Im Gegenteil, es braucht gar keine Riesenschritte mehr, um den meist mit Bangen erwarteten 40er zu erreichen. Den Runden, vor dem die meisten Frauen größere Angst haben als vor Einbrechern, Nosferatu-Spinnen und Fragen nach der Anzahl der bisherigen Sexualpartner. Und doch bin ich seltsam entspannt bei dem Gedanken.

Ich bin keine 20 mehr. Und ganz ehrlich? Das ist gut so. Klar bedeutet das, dass mein Hintern keine Walnüsse mehr knacken kann, und ich dank der immer noch andauernden Passion diverser Designer für Crop Tops (wer hat sich den Scheiß ausgedacht???) keine Oberteile finde, die es schaffen, die deutlich sichtbare Wölbung meiner Körpermitte zu bekleiden. Es bedeutet, dass ich mir die Haare nicht mehr zum Spaß färbe, sondern, weil ich es vermeiden will, frisurentechnisch Ähnlichkeit mit Granny Weatherwax zu entwickeln (Pratchett Fans wissen, wovon ich spreche). Und es bedeutet, dass sich mein Körper nach jedem Partyabend noch zwei Tage später an mir rächt. Das ist nicht schön, und manchmal stimmt es mich durchaus missmutig, vor allem dann, wenn ich mich begeistert durch irgendwelche Onlineshops klicke, nur um später festzustellen, dass die entzückenden Outfits, die ich in meinen Warenkorb geschaufelt habe, in Größe 42 einen Großteil ihrer verführerischen Wirkung einbüßen. Ich habe Falten. Ich habe ein kleines Muttermal über der Oberlippe, aus dem ich manchmal tatsächlich ein Haar auszupfen muss. Und ich kämpfe mit mindesten 8 kg, die ich gerne loswerden möchte, die es sich aber ziemlich hartnäckig rund um meinen Körper gemütlich gemacht haben. Die Schauspieler, für die ich früher mal geschwärmt habe, bekommen mittlerweile die Rolle des schrulligen Opas angeboten, und das junge Gemüse, das einem heute aus diversen Frauenzeitschriften und Society Magazinen entgegenwinkt, kenne ich nicht mal mehr. Zudem muss ich mir langsam die Frage stellen, ob es eigentlich moralisch noch ok ist, derart jugendliche Bauchmuskeln zu bewundern. Böse Zungen mögen mir also unterstellen, ich wäre alt. Ich aber sage: ich bin optimiert.


In den letzten zwanzig Jahren habe ich:
⁃ ein Studium abgeschlossen
⁃ meine Mutter beim Sterben begleitet
⁃ mit meinen Freundinnen existenzielle Lebenskrisen gemeistert
⁃ festgestellt, dass Dienstreisen nicht halb so cool sind, wie ich früher dachte, und dass auch der Chef meiner Chefin meines Chefs nur mit Wasser kocht
⁃ mit meinem Mann ein gemeinsames Leben aufgebaut
⁃ gelernt, einen Haushalt zu führen
⁃ so viele Gäste bewirtet, dass ich mittlerweile auch spontan 8-10 Personen satt kriege, wenn plötzlich mehr Leute als geplant auf der Matte stehen
⁃ ein Kind verloren
⁃ eine Tochter geboren
⁃ das Trauma rund um ihre Geburt und ihre Behinderung aufgearbeitet
⁃ mich mit meiner Vergangenheit auseinandergesetzt
⁃ eine gewisse Entspanntheit entwickelt, was die Zukunft betrifft
⁃ und Dinge geschafft, die ich mir früher niemals zugetraut hätte

Ja, es stimmt. Wenn ich (selten aber doch) abends ausgehe, dann gehöre ich altersmäßig nicht mehr zur großen Masse. Aber sollte ich mich deswegen schlecht fühlen? Ich glaube nicht. Ich bin stärker, selbstbewusster und hartnäckiger, als ich es jemals war. Ich habe oft gekämpft, meistens gewonnen, und die Narben meiner Niederlagen trage ich mit Stolz, weil ich sie mir niemals kampflos zugezogen habe. Ich trage keine Kleidergröße 36 mehr, aber dafür Verantwortung, und das mache ich verdammt gut. Auf der Straße dreht sich kaum jemand mehr nach mir um, aber wenn ich nach Hause komme, werde ich geliebt, und zwar von den einzigen Menschen, auf die es ankommt. Ich habe keine 10.000 Follower auf Instagram, und TikTok habe ich noch immer nicht durchschaut, was man schon allein daran merkt, dass ich gerade googeln musste, wie man es schreibt. Dafür habe ich eine Handvoll Freunde, die immer sofort antworten, wenn ich anrufe oder ihnen schreibe. Ich habe ein Umfeld, mit dem ich mich gleichzeitig fühlen und benehmen kann wie vor 20 Jahren, und das mir trotzdem Halt gibt, wenn Erwachsenenprobleme mir das Leben schwer machen. Ich habe in den letzten Jahren nicht nur Falten, Kilos und graue Haare gesammelt, sondern auch Erfahrungen. Wissen. Interessen. Leidenschaften. Gelassenheit. Alles in allem bin ich heute eine deutlich bessere Version von mir selbst als früher. Und ich weigere mich, mich deswegen schlecht zu fühlen, selbst wenn ich irgendwann mal schöner war. Schönheit, sagte schon die Tante Jolesch, kann man mit einer Hand zudecken. Aber Lebenserfahrung, die lässt sich nicht verdecken. Nicht mit einer Hand, und auch nicht mit zehn. Ich will keine zwanzig mehr sein. So, wie ich jetzt bin, mag ich mich lieber. Mit Falten und Freude und Kraft. Ich bin nicht alt. Ich bin veredelt.

close

Blog abonnieren

Du möchtest in Zukunft keinen Blogbeitrag mehr verpassen? Dann trage einfach hier Deine E-Mail-Adresse ein und erhalte neue Blogbeiträge automatisch in Dein E-Mail-Postfach.

Hiermit stimmst du ausdrücklich nur der Information über neue Beiträge per E-Mail zu. Dies ist keine Anmeldung zu einem Newsletter oder ähnlichen automatischen Emails. Und Deine Daten sind bei mir natürlich sicher und werden nicht an Dritte weitergegeben!

4 Gedanken zu “Käse, Wein und ich”

  1. So wie du auf die 40 zugehst, geh ich auf die 70 zu. Juhuuu schön dass ich noch lebe;)
    Aber glaub mir, ab 40 ändert sich nicht mehr viel, außer das Aussehen. iWobei du ja eh a super Figur hast. Im Kopf bleibst du immer Jung. Ob 40/50/60 ist egal. Freude am Leben ist alles ,auch wenn es einmal nicht so gut läuft.
    Du hast in deinem jungen Leben schon viel erlebt und es gut gemeistert dafür bewundere ich dich sehr. Bleib so wie du bist denn so lieben wir Dich .😘

    Älterwerden ist also nicht schlimm.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert