Mit Haupt und Glas erhoben

In vielen Belangen bin ich alles andere als hip. Ich schaffe es nie, den neuesten Trends zu folgen, ich beginne meine Serien erst dann zu bingen, wenn bereits das Finale ausgestrahlt (und mehrfach gespoilert) wurde, zum Leidwesen meiner besten Freundin haben bis heute keine weißen Sneakers bei mir Einzug gehalten, und nur, weil etwas nicht mehr in ist, heißt das nicht, dass ich nicht mit der Überzeugung eines Boomers eisern daran festhalte, weil ich das „immer schon so gemacht habe“. Ja, Millennials können das auch.

Zum Beispiel esse ich noch immer lieber die klassische Schoko-Vanille-Erdbeer-Eiskombi, als das vegane, dreifach links gedrehte Kürbiskern-Minz-Parfait aus dem neuesten Hipsterladen. Ich finde, dass Die Ärzte seit den späten 90er Jahren nix Gscheites mehr veröffentlicht haben, und bis zu meinem Tod werde ich meine Stiefel über meinen Skinny Jeans tragen, auch wenn die Werbung mir konsequent und bildgewaltig einreden möchte, dass Karottenhosen wieder in sind. Einfach nein.

Und da ich gerade so schön dabei bin, mich stolz gegen den Zeitgeist zur Wehr zu setzen, möchte ich gleich ein weiteres Geständnis machen. Ein Begriff, der einst witzig bis cool war, hat in den letzten paar Jahren nämlich scheints einen schlechten Ruf bekommen, sodass viele sich beschämt und teils entrüstet ob ihrer vergangenen Ansichten davon abgewandt haben. Ich aber gebe zu: Ich bin eine Wine Mum.

Als Wine Mum bezeichnet der moderne Mensch Mütter, die sich einen Spaß daraus machen, öffentlich dazu zu stehen, sich hin und wieder ein Fläschchen zu genehmigen, um sich die eine oder andere Unternehmung mit dem Nachwuchs lustigzutrinken. Die in der Thermoskanne beim Eislaufen nicht immer nur Tee mit sich führen, und die sich auf Facebook, Twitter und Instagram bisweilen damit brüsten, schon ihren Morgenkaffee mit einem Eierlikörchen gewürzt zu haben, um dem vor ihnen liegenden Tag entgegentreten zu können.

Selbstverständlich ist alles, was dazu gepostet oder an lustigen Gläsern, T-Shirts und Handlettering-Dekobildern verkauft wird, maßlos übertrieben. Wir Wine Mums verbringen unsere Tage nicht im Vollrausch, und wir können durchaus Zeit mit unseren Kindern verbringen, ohne uns zuvor mit einer Bouteille Veltliner betäuben zu müssen. Das machen wir auch, in 95% der Zeit. Aber ab und an darf man sich, wie ich finde, tief seufzend ein theatralisches Achterl einschenken, weil man´s grad einfach nicht mehr packt, und auch dazu stehen. Allerdings nicht, wenn man dem Internet glaubt, in dem das Whine-Mum-Bashing gerade sehr populär zu sein scheint.

Erst kürzlich bin ich wieder über einen todernsten Artikel gestolpert, in dem kritisiert wurde, wie durch derartige Verharmlosungen Alkoholismus salonfähig gemacht wird, und es doch nicht sein kann, dass Mütter ihr Leben nur mehr in Begleitung eines Weinglases packen würden. Dazu kann ich nur sagen: doch. Doch, das kann sein. Heute noch mehr als früher. Und ja, auch früher gabs das schon.

Schon in meiner Kindheit haben die Mütter bereits beim Dekorieren der Wohnung für die Kindergeburtstagsfeier ihre Laune mit dem einen oder anderen Achterl gehoben, um hernach den Clown für 15 überzuckerte Kids spielen zu können, ohne sich währenddessen an den Luftschlangen erhängen zu wollen. Der Unterschied ist, dass sie ihr Verhalten nicht durch einen entsprechenden Tweet der öffentlichen Kritik ausgesetzt haben. Die haben einfach ganz selbstverständlich, aber eben immer nur im kleinen Kreis, einen gehoben. Sie haben ihren Kindern keine Shirts mit der Aufschrift „I´m the reason mummy drinks“ angezogen, aber gedacht haben sie es sich trotzdem. Auf ihren Gläsern stand „Villeroy & Boch“, und nicht „Mum juice“, aber drin war das gleiche.

Und dabei glaube ich, im Gegensatz zu den heutigen Kindern, erstaunlich viel Zeit außerhalb der mütterlichen Obhut verbracht zu haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter (vor allem unter der Woche) sonderlich viel mit mir unternommen hätte. Gespielt wurde mit Freunden, meine Hausaufgaben wurden maximal kontrolliert, aber nicht gemeinsam mit mir am Küchentisch erarbeitet, in die Schule hat mich die Straßenbahn gebracht, und zu meinen Nachmittagsunterhaltungen meine Füße oder mein Fahrrad. Versuch sowas mal 2022, da informiert doch garantiert jemand das Jugendamt!

Die Kinder des 21. Jahrhunderts wollen pädagogisch wertvoll bespaßt, gefördert und unterhalten werden, zudem ist es natürlich undenkbar, den Nachwuchs mal für eine Stunde allein zuhause zu lassen, oder mutterseelenalleine den Gefahren des öffentlichen Verkehrs auszusetzen. Daneben sollte man bitte wegen der Selbständigkeit auch noch sein eigenes Geld verdienen, seinen Haushalt im Griff haben, sich bloß genug Zeit für sich selbst nehmen, um nicht auszubrennen, täglich frisch kochen (BIO!!!), und mit seinen letzten Nerven auch noch eine globale Krise nach der anderen veratmen. Um zu lernen, wie leicht das geht, gibt es tausend Bücher, Artikel und Instagram-Accounts, die einem den rechten Weg weisen sollen, sodass in einem überforderten Muttergeist schonmal der Gedanke wachsen kann, man wäre die Einzige, die es grade nicht so recht gebacken kriegt. Jedes vermeintlich harmlose Familienfoto, das seinen Weg ins Internet findet, kann einen Shitstorm auslösen, weil die darauf abgebildete Jause zu ungesund, die Wohnung nicht kindersicher genug oder die Tragehaltung ergonomisch fragwürdig ist. Und sollte, weil man seine Augen eben nicht überall auf einmal haben kann, dem Kind einmal etwas so Spektakuläres passieren, dass es der Kronenzeitung einen Artikel wert ist (wofür es, gerade im Sommerloch, nicht besonders viel braucht), dann sieht man sich in den einschlägigen Kommentarspalten der Wut des ganzen Landes ausgesetzt.

Die Aufgaben werden vielfältiger, die lauernden Kritiker aufgrund ihrer Internetanonymität immer selbstgefälliger, und was die Zukunft in den nächsten Jahren noch für uns bereithält, wollen wir uns in Wahrheit doch alle nicht so wirklich vorstellen, oder? Wenn´s da abends mal nicht mehr fürs Abarbeiten des täglichen Achtsamkeitskärtchens, sondern nur mehr für einen Drink reicht, dann finde ich das mehr als nur verständlich.

Natürlich ist es nicht sinnvoll, sich zur Nervenstärkung jeden Tag einmal die Festplatte zu formatieren, oder regelmäßig schon gleich nach dem Mittagessen zur Flasche zu greifen. Sich aber gelegentlich Mühsamkeiten wie Kindergeburtstage, Sportfeste, die dritte, nicht enden wollende Diskussion bezüglich der gesunden Jause am Elternabend, oder den 15. Spielplatzbesuch des Monats, ein bisserl schön zu trinken, dagegen ist meiner Meinung nach nichts einzuwenden. Und das hat nicht mal wirklich was mit den Kindern zu tun. Ich fand auch Firmenfeiern und andere gesellschaftliche Ereignisse mit vielleicht nicht vorgeschriebener, aber irgendwie unausgesprochener Anwesenheitspflicht, völlig nüchtern immer eher schwer zu ertragen.

Früher habe ich meine Freundinnen regelmäßig zu einem Afterworkdrink getroffen. Jetzt sehen wir uns praktisch nur mehr mit den Kindern, wieso sollten wir also nicht besagten Afterworkdrink auf den Nachmittag verschieben, und zusätzlich zu den Snacks für den Nachwuchs auch eine Mami-Kühltasche mit an den Badeteich, auf den Spielplatz oder in den Zoo mitzunehmen? Sollten wir, finde ich. Und wer sich daran stört, der muss es ja nicht machen.

Wir Mütter haben alle andere Herausforderungen zu meistern, sei es die Pflege eines behinderten Kindes, die Koordination von Familie und Karriere, die Sorge um Eltern und andere Familienangehörige, schwierige Patchwork-Familienkonstellationen oder die beeindruckende Blödheit mancher Menschen, mit denen man sich zwangsläufig im Alltag mit Kindern auseinandersetzen muss. Sich dazwischen mal darüber zu amüsieren, dass Alkohol zwar keine Probleme löst, aber Wasser halt auch nicht, und mit seinen Freundinnen aufs gemeinsame Wine-Mum Image anzustoßen, macht einen noch lange nicht zur Rabenmutter. Wir lieben unsere Kinder. Aber, wie es eine Freundin mal so herrlich ausgedrückt hat: „As long as I´m the one wearing my shoes, let me cope with it however the fuck I want.“

Cheers!

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2 Gedanken zu “Mit Haupt und Glas erhoben”

  1. Absolut!
    Ich empfehle zum Weihnachtsbacken mit Kindern immer ein Glas Gin Tonic. Macht Rolf in der Weihnachtsbäckerei und Dekostreusel überall zwar nicht besser aber erträglicher.
    In diesem Sinne: Zum Wohl die Daumen!

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