Meine Bubble

Ich gebe es zu: oft scheine ich mit meinem Smartphone verwachsen zu sein, und ich habe es öfter in der Hand, als es die diversen Selfcare-Artikel in unzähligen Lifestylemagazinen für vernünftig halten. Mein „Guilty Pleasure“ ist es, mich abends durch sinnlose Artikel, lustige Memes und voyeuristische Clickbait-Schlagzeilen zu scrollen, um mein Hirn runterzufahren.

Der Großteil meiner Online-Zeit dient allerdings der Recherche, dem Finden von und dem Austausch mit Gleichgesinnten. Der Instagram Kanal, den ich in Rosies Namen betreibe, beinhaltet keine Beauty-Selfies und nur selten Berichte über meine Freizeitgestaltung ohne Kind. Meistens geht es um Szenen aus meinem Leben mit Rosie, und meine Beiträge und Stories dienen dazu, möglichst viele Menschen damit zu erreichen, die sich in einer ähnlichen Position befinden wie ich. Denn je größer meine Reichweite wird, desto größer wird auch meine Bubble.  

Seit ich mit meinem Leben mit Rosie auf Instagram vertreten bin, habe ich mehr Menschen kennengelernt, mit denen ich mich austauschen kann, als in den drei Jahren zuvor. Menschen, die ebenfalls ihre behinderten Kinder pflegen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die den Spagat zwischen der Liebe zum eigenen Kind und der Sehnsucht nach Normalität kennen. Die nicht nur alle im selben Meer unterwegs sind, sondern auch alle ähnlich wackelige Ruderboote fahren, während rundherum verdammt viele Yachten (oder zumindest halbwegs hochseetüchtige Segelschiffe) unterwegs zu sein scheinen.

Ich bin in der glücklichen Lage, wunderbare Freundinnen (und auch Freunde) zu haben. Menschen, die mich lieben und die ich liebe, die immer für mich da sind, und die spüren, dass es mir nicht gut geht, noch bevor es mir selbst so richtig klar ist. Aber manches können sie einfach nicht verstehen, nicht, weil es ihnen an Empathie fehlt, sondern weil sie es halt nicht selbst erlebt haben. Niemand, der ein gesundes Kind daheim hat, kann nachvollziehen, wie viel Kraft es braucht, sich dazu aufzuraffen, die nächste Förderung zu beantragen. Wie mühsam es ist, geeignete Therapeuten zu finden. Wie weh es tut, das Kind zu ebendiesen Therapeuten zu bringen, und nicht zu Playdates oder zum Kinderturnen. Wie groß die Zukunftsängste sind, die man täglich zu unterdrücken versucht. Wie viel Energie an manchen Tagen dafür draufgeht, das zehnte Mal an der Supermarktkasse die Frage „was hat sie denn“ zu beantworten, und dabei noch freundlich zu lächeln. Und wie sehr der Körper nach einem Tag voll Heben, Tragen und Lagern schmerzen kann.

Doch diese Instagram Bubble, die ich durch mein „Öffentlich werden“ kennengelernt habe, versteht es. Da muss ich nichts erklären. Nicht ausholen. Auch nichts runterspielen. Und wenn eine von ihnen schreibt „ja, das kenne ich“, dann stimmt das auch. Denn wir sitzen tatsächlich im gleichen Boot.

Ja, an machen Abenden hänge ich am Handy. Dann sitze ich mit mir selbst auf der Terrasse, trinke ein Glas Wein, rauche eine Zigarette und schreibe. Tausche mich aus. Lerne. Hole mir Tipps. Zuspruch. Infos. Ohne Mitleid, ohne Bewunderung, ohne Erklärungen. Grenzübergreifend, mehrsprachig und multikulturell. Und damit sondere ich mich nicht von meiner Familie ab, die gerade im Wohnzimmer auf der Couch kuschelt. Im Gegenteil. Ich mache das für meine Familie. Für Rosie. Um unser Netz in einer Welt, in der wir immer zu einer Minderheit gehören werden, so groß wie möglich zu knüpfen. Wir sind wenige. Aber wenn wir uns zusammenschließen, dann fühlt es sich eben an, als wären wir mehr.

Und das lässt uns näher zusammenwachsen, als es über das Internet möglich sein sollte. So nah, dass die Worte, Gedanken, Schicksale, Erlebnisse und Erfahrungen der anderen einen stärker berühren, als es bei Internetbekanntschaften erwartbar wäre. So nah, dass man sich über Erfolge freut, mitfiebert, wenn Entscheidungen bevorstehen, beunruhigt ist, wenn sich ein Zustand verschlechtert, oder sich gerne Zeit nimmt, wenn Tipps, Trost, Zuspruch oder auch mal lustige Tierbilder gebraucht werden.

Heute gibt es nichts zu lachen, keine Tipps und auch keinen Trost. Denn heute trauere ich um Romy. Römchen. Ein kleines Mädchen, das ich nie persönlich kennen gelernt habe, und von dessen Leben ich dennoch so viel wusste. Von der ich jeden Tag gehört habe. Und deren Mutter so wunderschöne, bewegende, manchmal harte, manchmal hoffnungsvolle, aber immer ehrliche Worte gefunden hat. Phyxchen, die eigentlich Sarah heißt, und die ihren Instagram-Namen von der Asphyxie ihrer Tochter abgeleitet hat. Die mich auf meiner Reise mit Rosie seit über einem Jahr begleitet, und die ihr Kind 24 Stunden am Tag betreut, gepflegt und vor allem geliebt hat.

Romy hat den Kampf gegen einen ihrer vielen Infekte verloren. Und ich weine. Um ein Kind, das ich nicht kenne, und irgendwie doch. Ich weiß nicht, ob es Sarah ein Trost ist, dass Romy und sie so viele Leben berührt haben. Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen Trost geben kann. Ich weiß nur, dass wir, die Online-Bubble, die Instagram-Mütter, wir #pflegendeeltern, die Menschen, die sich aufgrund ihrer Lebenssituation gefunden und vernetzt haben, heute Schulter an Schulter stehen. Und weinen. Mit einer und um eine von uns.

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