Abenteuer Reha, Woche 1: „Ladies and Gentlemen, the dreamteam is in the house!“

Unausgeschlafen, erkältet, und mit einem Kampfgewicht von 83 kg. Ich habe echt schon mal besser ausgesehen, denke ich mir, als ich vor der Abfahrt um 06:30 Uhr in den Spiegel blicke. Ich habe mir fest vorgenommen, diesmal aus der Reha mit Rosie schöner zurückzukommen, als ich hinfahre, und nicht völlig zu verwahrlosen. Wenn ich mir das, was mir aus dem Spiegel entgegengähnt, ansehe, muss ich zugeben: schwierig wird das nicht.

Die Voraussetzungen für unsere Ankunft in der Klinik hätten besser sein können. Mit Halsschmerzen und Schnupfennase musste ich auf die Frage, wie es uns geht, voller Überzeugung so tun, als wäre alles ganz wunderbar. Das Personal hier ist nämlich etwas hysterisch, wenn es um Krankheiten geht, und man wird gerne recht flott „zur Abklärung ins Krankenhaus“ geschickt, von wo aus man oft auf direktem Weg die Heimreise antreten darf, selbst, wenn es sich nicht um das böse C (oder Ähnliches) handelt, sondern um eine stinknormale Erkältung. Aber wenn man in den Monaten Oktober bis März mit einem Kindergartenkind darauf warten will, bis alle reharelevanten Personen gesund sind, dann wartet man eben leider meist bis April. Ich betrachte es daher als Erfolg, weder Scharlach noch Feuchtblattern oder die Beulenpest eingeschleppt zu haben. Bei dem, was derzeit alles umgeht, schließe ich nichts aus, und alles, was nicht meldepflichtig ist, kann ich während einer Reha als Krankheit nicht ernst nehmen, zumindest, solange es nur mich betrifft. Rosie ist Gott sei Dank so fit, wie ein Kind im Jänner eben sein kann, und sie ist ja schließlich diejenige, die arbeiten muss.

Während ich letztes Jahr also heimlich meine leeren Piccoloflaschen entsorgt habe, versuche ich dieses Jahr, die leeren Neocitransackerln unauffällig loszuwerden, bevor sie jemand im Mistkübel findet und unangenehme Fragen zu meinem aktuellen Gesundheitszustand stellen könnte. So ändern sich die Zeiten.

Abgesehen von den gesundheitlichen Hürden haben wir uns aber wieder schnell eingelebt. Beim dritten Mal gilt man scheints schon als Stammgast, wird von den Küchenmädels umarmt, vom Reinigungspersonal mit extra Handtüchern begrüßt, die Therapeuten winken einem am Gang schon aus der Ferne zu, und irgendjemand ist immer da, den man von einer früheren Reha, einer Therapie, einem Krankenhausaufenthalt oder zumindest über Instagram kennt. Am Ende des Tages, das merke ich immer mehr, sind wir, die pflegenden Eltern, nämlich ein überschaubares und erstaunlich gut vernetztes Grüppchen.   

Die Truppe aus Kindern und Begleitpersonen besteht aus den üblichen Verdächtigen. Bei den Kids ist von klassischen Zerebralparesen über spektakuläre Krankheiten bis hin zu exotischen Gendefekten mal wieder alles vertreten, und trotz, oder vielleicht auch wegen dieser Vielfalt, merkt man schnell, dass man eigentlich mit niemandem tauschen möchte, und das Gras auf der anderen Seite nie grüner, sondern irgendwie immer nur anders ist. Hier bekommt man einen guten Überblick über den kompletten Pantonefächer, von Alge bis Avocado.

Innerhalb der Elterngruppe gibt es neben den bereits erwähnten bekannten Gesichtern wie immer die Einzelgänger, denen man nur begegnet, wenn sie sich im Speisesaal schnell ihr Essen abholen. Die Clique der Mütter mit den körperlich etwas fitteren Kinder hängt meist im Spielzimmer ab, während der Nachwuchs über die Schaumstoffblöcke tobt. Dazwischen sieht man ab und zu einen überforderten Vater oder eine schnappatmige Mutter vorbeilaufen, die heldenhaft versuchen, während ihres Aufenthalts hier zwei Kinder zu jonglieren, ohne dabei allzu viel ihrer geistigen Gesundheit einzubüßen, weil es niemanden gibt, der daheim das Geschwisterkind sitten kann. Das zunehmende Abgleiten in den Wahnsinn kann man bei dieser Gruppe sehr schön beobachten. Dann gibt es freilich noch den einen oder anderen „Oversharer“, dessen Kind man nichtsahnend am Gang anplaudert, und darob postwendend mit der gesamten Lebensgeschichte, inklusive Familienkonstellation, finanzellen Schwierigkeiten und dem seit Jahren eingeschlafenen Sexualleben bedacht wird, und das innerhalb der ersten zehn Minuten.

Und neben noch mindestens einem überkommunikativen Elternteil, aus dessen Leben man nach jedem Mittagessen erstaunlich viele Details kennt, obwohl es eigentlich meist nur das eigene Kind (das in aller Regel nicht antworten kann) lautstark zutextet, gibt es da natürlich noch uns. Rosie und mich. Das Dreamteam. Wo wir dazu gehören? Keine Ahnung. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns mittlerweile einen Stammplatz am Tisch der coolen Kids ergattert haben. Wo wir sind, ist meistens was los, und wenn wir etwas vorschlagen, schließt man sich an. War das damals in der Schule nicht ein sicheres Zeichen dafür, dass es läuft mit der Beliebtheit?

So weit ists also gekommen. Fasst 40 musste ich werden, um endlich populär zu sein. Populär in Judendorf-Straßengel. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das finden soll. Aber in den nächsten Wochen wird uns so hoffentlich zumindest nicht fad.

In diesem Sinne: one down, three to go. Bussis aus der steirischen Pampa.

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