Abenteuer Reha, Woche 3: „Das Dreamteam auf der Suche nach Motivation.“

So erfreulich das Wort „Halbzeit“ auch klingen mag: die Erkenntnis, dass noch genauso viele Tage vor einem liegen, wie hinter einem, bringt traditionell eine gewisse Erschöpfung mit sich. Monotonie ist der Fressfeind des Zeitempfindens, und aufgrund der Eintönigkeit unserer Tagesabläufe bekommt man schnell das Gefühl, nicht erst zwei Wochen, sondern schon zwei Monate im steirischen Hinterland verbracht zu haben. Entsprechend groß erscheint einem der Berg, als der sich die kommenden zwei Wochen subjektiv darstellen. Da wir mit diesem Phänomen aber schon hinlänglich vertraut waren, begrüßten wir das daraus resultierende Stimmungstief am Anfang der Woche fast schon wie einen alten Bekannten, den man auf der Straße trifft, mit dem man ein bisschen über das Leben tratscht und von dem man insgeheim hofft, dass er sich dann auch möglichst bald wieder schleicht und man seinen Alltagserledigungen nachgehen kann.

Wesentlich mühsamer gestaltet sich da schon das Thema Gesundheit, denn nach einem Wintereinbruch, der dafür gesorgt hat, dass wir uns seit über einer Woche zwischen zwei Klimazonen (arschkalt und drastisch überheizt) bewegen, schnupft Rosie mal wieder munter vor sich hin, und auch mich hat es, nach fünf mehr oder weniger fitten Tagen, nochmal erwischt. Die Nase rinnt, die Lunge sticht, und ich klinge wie der Marlboro Man nach Vollendung einer zweimonatigen Promotour. Wenn einen mal das Kind mit dem Tracheostoma fragt, wieso man so eine kratzige Stimme hat, weiß man Bescheid.

Man kann sich unsere allgemeine Motivationslage zwischen Hustensaft und Halbzeitblues also lebhaft ausmalen. Rosie raunzt schon morgens, wenn ich erwähne, dass wir dann langsam aufstehen sollten, und klammert sich kopfschüttelnd und Tränchen zerdrückend an mein Nachthemd, weil Mama-Kuscheln halt so viel schöner ist als Therapie. Stimmlos und selbst mäßig begeistert von der Idee des bevorstehenden Tages versuche ich also, ihr durch gespielten Enthusiasmus die nächsten Stunden schmackhaft zu machen, wobei ich leider befürchte, dass sie mein Schauspiel nur allzu gut durchschaut, und wir in Wahrheit beide wissen, dass es uns grad keinen Spaß macht.

Mithilfe mehrerer Liter Tee pro Tag versuche ich jetzt also, meine Stimme davon zu überzeugen, zu mir zurückzukehren, denn abgesehen davon, dass Heiserkeit und die unablässige Notwendigkeit zur Kommunikation (mit Kind, Therapeuten und Ärzten) eine anstrengende Kombi sind, fallen mir jetzt auch gewisse Rituale auf den Kopf. So hat das immer schon trinkfaule Bärli sich im Laufe der letzten Jahre zum Beispiel daran gewöhnt, beim Verzehr ihrer Abendflasche etwas vorgesungen zu kriegen, und damit tu ich mir derzeit klarerweise schwer. Da sie mich also mit zusammengekniffenen Lippen ansieht und trotzig wartet, bis die Show beginnt, kann ich mein Best Of der beliebtesten Schlaflieder mittlerweile auch pfeifen, denn scheinbar braucht es den Text nicht, die Melodie reicht ihr. Man lernt ja, zu improvisieren.

Trotz aller Widrigkeiten merke ich aber, dass wir beide dieses Reha-Ding immer besser draufhaben. Rosie versteht mehr und mehr, wie wichtig es ist, dass sie bestimmte Dinge übt, und ist dadurch während den Therapien deutlich eher zur Mitarbeit bereit als im letzten Jahr. Und auch ich finde den Aufenthalt hier zwar anstrengend, aber nicht mehr so kolossal überwältigend wie beim ersten Mal. Man kennt sich aus, man ist das Zusammensein mit anderen Familien, mit leichter oder schwerer beeinträchtigten Kindern und mit den unterschiedlichsten Begleitpersonen besser gewöhnt, man vergleicht längst nicht mehr so viel wie am Anfang, und man akzeptiert langsam, dass solche Wochen und Monate jetzt einfach zum Leben dazu gehören. Das ist zwar nicht leiwand und war anders geplant, aber es ist jetzt halt mal so. Und langsam, aber sicher, wird man von der Person, die schüchtern durch die Gänge läuft und irgendwie immer Angst hat, jeden Moment loszuheulen, zu der Person, die Schultern klopft, Rücken streichelt und Tränen trocknet, die versichert, dass das alles leichter wird, und die sagt „komm, setz dich doch zu uns“, wenn jemand noch keinen Anschluss gefunden hat, aber so aussieht, als könnte er dringend welchen brauchen. Ich bin weiß Gott keine Mutter Theresa, und es ist nicht mein Anspruch, die Welt zu retten. Aber ich weiß, wie beschissen und beängstigend sich das Leben mit einem behinderten Kind manchmal anfühlen kann, vor allem, wenn man sich auch noch weit weg von seiner (eh schon nicht besonders komfortablen) Comfort Zone befindet. Dann versuche ich, der Mensch zu sein, den ich mir damals gewünscht hätte. Mit Kaffee, Prosecco, einem offenen Ohr, etwas Zuversicht, ein bisschen Spaß und Taschentüchern. Die habe ich aktuell ja eh immer dabei.

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2 Gedanken zu “Abenteuer Reha, Woche 3: „Das Dreamteam auf der Suche nach Motivation.“”

  1. Einfach wieder toll geschrieben liebe Katharina!
    Rührend 🥺 und der gewisse Schmäh 😊 immer dabei – toll!
    Ich schicke euch viel positive Energie für die letzten Reha Meter in Judendorf! 💪🤗
    LG Kornelia

  2. Hut ab! Bei der aktuellen meteorologischen und politischen Tristesse ist es schon außerhalb vom steirischen Hinterland schwer Motivation zu finden.
    Durchhalten! Der nächste Spritzer in der warmen Sommersonne kommt bestimmt.

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